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18Tagebuch [/9, Kämpfe am Winterberg] 5. V. 1917 – 9. V. 1917 [Rudolf Carnap: Tagebücher]

\(Kämpfe am WinterbergLWinterberg.) Mai 1917.(Zu 9)\1Die folgenden Notizen sind offenbar erst einige Tage nach den geschilderten Ereignissen entstanden. Vgl. TB 17. V. 1917R. Danach hat Carnap (siehe TB 21. V. 1917R) noch einen hier nicht wiedergegebenen Auszug dieser Notizen in Langschrift zu verfassen begonnen (RC 025‑28‑35), der allerdings nur Ausführungen zu den Ereignissen am 5. und 6. V. 1917 enthält und vermutlich nicht fertiggestellt wurde. Zum militärischen Kontext vgl. TB 1. V. 1917R.🕮

V / 1917OSaint ThomasAbends. In der 2. Stellung. 20 m hinter dem Graben ist ein großes ausgehobenes Viereck; darin durch schräge Balken ein kleiner Unterstand. Dorthin ziehe ich mit KabitzPKabitz, Soldat. Abends 10h gibt’s Essen. KabitzPKabitz, Soldat macht’s auf dem Öfchen warm, wir essen mit großem Hunger.

Morgens 4h alarmiert: Das Bataillon sammelt rechts beim Bataillonsstab. Wir gehen den nassen, schlüpfrigen Weg neben dem Graben im Dunkeln dorthin. Dort wird noch auf HeidrichsPHeidrich, Soldat Kompanie gewartet. KuntzePKuntze, Hauptmann ist sehr ungeduldig. RaedschPRaedsch, Oberleutnant liest uns den Befehl vor: II und III / 154 (und 2 Bataillone /19) erstürmen heute den WinterbergLWinterberg. Nullzeit 947. Dann wird die 1. Linie überschritten, in der die 111 liegen. Von da ab wird Artilleriefeuer vorverlegt, jede Minute um 100 m. Es wird Tag. 6h, das ganze Bataillon marschiert ab, auch der Regimentsstab; 11/154 (DegenPDegen, Oberleutnant) findet schließlich mit meiner Hilfe auch den Anschluss. Dann wir, das heißt 4 MG; HüttnerPHüttner, Leutnant und SchmiedlerPSchmiedler, Soldat mit den übrigen 4 sind zerplatzt‚2Wegen des folgenden Halbsatzes könnte „zerplatzt“ vielleicht im Sinne von „versprengt“ verstanden werden. Vgl. den selben Ausdruck unten, S. . vielleicht beim II/154. Wir haben Infanteriegruppe zum Munitionsschleppen mit, und marschieren bei hellem Tageslicht langsam, aber sicher, auf der großen Straße nach CorbenyaOriginal Corbenay.LCorbeny.OCorbeny Hinterm Ort in der Kiesgrube Regiments­gefechts­stelle. Dort erfahre ich, dass das III. Bataillon weiter rechts vorwärts liegt. Lange Strecke durch den halbtiefen Graben der Artillerieschutzstellung nach rechts. Dann vorwärts in den Wald. Dort II. Bataillon. Es weist uns weiter vorwärts. Von links kommt eine Förderbahn, daneben Fahrweg. Weiter vorn nach rechts in den Wald. Ich schicke KabitzPKabitz, Soldat zu DegenPDegen, Oberleutnant, damit er auch den Weg findet. ½ 9. Das III. Bataillon bildet den linken Flügel des Angriffs, es ist im Walde in 9 Wellen aufgestellt, von vorn 9. (HeidrichPHeidrich, Soldat), 12. (BrodtreißPBrodtreiß, Hauptmann), 11. (DegenPDegen, Oberleutnant), jede Kompanie in 3 ausgeschwärmten Wellen. Rechts von uns ebenso das II. Bataillon. Ich verteile 370 die 4 MG auf 11. und 12. Kompanie, je in die 1. Welle. Vorn SeibtPSeibt, Soldat und SchwarzPSchwarz, †1917, Unteroffizier, hinten Zug DamschPDamsch, Unteroffizier mit GoltschPGoltsch, Soldat und FiegePFiege, Soldat. Ich selbst vorn im vorderen Zug von 12/154. Wir haben noch Zeit, etwas zu essen, die Sache zu besprechen; die Leute sind ebenso wie ich heiter und ruhig. 1 Stunde vor dem Antreten denke ich, ob ich noch einen Zettel für ChaPCarnap, Elisabeth, 1895–1987, auch Cha oder Chacha, Grafologin, Tochter von Luisa und Heinrich Schöndube, von 1917 bis 1929 verh. mit Rudolf Carnap schreiben will; doch ich lasse es, ich komme nicht mehr dazu, bleibe lieber mit meinen Gedanken bei der Gegenwart. KuntzePKuntze, Hauptmann ruft uns noch einmal zusammen. 930 soll Abmarsch sein, damit wir etwa 947 über den Graben kommen. Durch verspäteten Divisionsbefehl sollte Verschiebung nach rechts eintreten. Da dies nicht mehr möglich, sollen alle Kompanien möglichst nach rechts drängen beim Vorgehen; Anschluss ist rechts. Später sind wir dadurch, dass dies nur bei unserm Bataillon, nicht auch dem II., dringend eingeprägt war, ganz nach rechts in dieses hineingeraten, sodass oben alle Verbände vermischt waren. Durch die Bäume sehen wir den kahlen steilen Hang des WinterbergesLWinterberg schimmern 🕮 und können uns nicht recht vorstellen, wie wir diesen hohen deckungslosen oben vom Feinde besetzten Hang hinaufkommen sollen. Mit HeidrichPHeidrich, Soldat und DegenPDegen, Oberleutnant noch einen Händedruck gewechselt, dann geht jeder auf seinen Platz. 930 Abmarsch. Zuerst durch dichten grünen Wald, dann Sumpfgelände mit großen Trichtern, oft schwierig mit den MG durchzukommen; ich helfe zuweilen mit. Dann über einen Weg hinüber, rechts auf einen Hügel. Wir sehen, dass die MG auch richtig rechts auf uns zukommen, dann haben wir sie aus den Augen verloren. Mit KabitzPKabitz, Soldat Hier kommen wir ins Artilleriefeuer. Gleichzeitig bekommen wir oben auf dem Hügel auch MG und Infanteriefeuer. Die Treppe in den Hohlweg hinab. Bin mit KabitzPKabitz, Soldat allein; viel Gewimmel. Im Hohlweg Offizier von 110, sagt uns, dass wir nicht im Hohlweg bleiben können, da sonst MG alles niedermähen wird. Wir müssen nach vorn hinaus. Ich springe mit KabitzPKabitz, Soldat und einem Vize von 12/154 vor, wir ducken uns links an die Wand, wo rechts der Hohlweg schon ganz offen ist und verschnaufen einen Augenblick. Dann ist uns klar, dass wir mit allen Leuten vor müssen, aus dem Hohlweg hinaus und hinüber an den Hang, bis in den toten Winkel. Wir rufen alles heraus und stürmen weiter vor, in den toten Winkel. Der Vize meint zwar, da links von uns der Angriff stocke, müssten wir auch verhalten, doch ich sage, wir wollen lieber Anschluss nach ruch rechts halten und möglichst schnell vorwärtskommen. Und so machen wir’s auch. Wir kommen jetzt auf den WinterberghangLWinterberghang rechts der großen Nase. Was links davon vorgeht, können wir nicht mehr übersehen. Bei all dem Getöse hören wir ein paar Töne, KuntzePKuntze, Hauptmann lässt ein Signal blasen, um links den stockenden Angriff weiterzubringen. Hinter uns auf 371 dem Hügel rechts vom Hohlweg liegt ein MG/110 und schießt auf den Berg hinauf über uns weg. Wir steigen über einen Graben, in dem die 111er müde und dreckig liegen, 953‚ also 6 Minuten nach der festgesetzten Zeit. Hinauf, rechts am Blockhaus vorbei. Da sitzt ein verwundeter Franzose. Etwas nach rechts. Nicht viel weiter vorn stehen die vordersten Leute und schießen heftig. Wir sehen uns nach dem MG um; nichts zu sehen. Wir versuchen ein französisches MG, reinigen es notdürftig, laden; es geht nicht los. Ebensowenig ein Fusil Mitrailleur.3Schnellfeuergewehr. Ich nehme deshalb einem gefallenen Franzosen das Gewehr ab, KabitzPKabitz, Soldat bringt mir dessen Munition, und ich schieße in der vorderen Reihe mit, meist halbrechts, 150–300 m. Das Gewehr lässt sich nur einzeln laden. Dann nehmen wir deutsche Gewehre von Verwundeten, mit aufgepflanztem, blitzendem Seitengewehr und stecken uns die Taschen voll Munition. Mein Gewehr ist noch blutig, das schadet nichts. Wir schießen heftig mit, meist stehend oder kniend freihändig. Ein Schlag vor den Kopf, ich taumele zurück. Mein Stahlhelm ist vorne links kräftig eingebeult; durch den Schlag habe ich auf der Stirn eine Beule. Macht nichts, es wird weitergeschossen. Plötzlich bekommt KabitzPKabitz, Soldat einen Schuss, der stark blutet; Ein- und Ausschuss nahe beieinander hinten am Hals. Ich erschrecke, beruhige ihn aber; weiß nicht, ob das Rückgrat verletzt. Ich verbinde ihn notdürftig mit 2 Verbandpäckchen; das 2. nehme ich aus seiner Gasmaske, nehme ihm Gepäck und Koppel ab und lege ihn hin. Es hört nicht auf zu bluten, der Verband rutscht auch. Er muss hinunter, sonst ist er verloren. Er glaubt, Krampf in die Beine zu bekommen. Ich rede ihm energisch zu, dass er hinuntergehen soll; er weiß nicht, ob er’s kann. Ich schicke ihn energisch fort, er taumelt über die Trichterränder nach hinten. Ob er lebendig hinunterkommt? Später erzählt mir GurltPGurlt, Leutnant, dass er KabitzPKabitz, Soldat etwas unterhalb des Randes gesehen habe, und dann später in AizellesLAizelles🕮 Ich bin allein, schieße bald hier, bald dort. Plötzlich bin ich bei GurltPGurlt, Leutnant, der ein Gewehr in Stellung bringt und mit einem Dolch in der Hand herumfuchtelt. Ich erkenne erfreut den Gewehrführer KieferPKiefer, Unteroffizier. Bald darauf bekommt dieser einen ganz leichten Streifschuss am Hals, aber schmerzhaft. Ich verbinde ihn. Die Franzosen machen verschiedene Gegenstöße. Es werden auf beiden Seiten Handgranaten geworfen. Da ich kein hervorragender Werfer, überlasse ich’s lieber den anderen. GurltPGurlt, Leutnant schwingt noch lustig seinen Dolch und gefährdet alle anderen damit, nur nicht die Franzosen. Ich rat Auf meinen Rat greift er lieber zur Pistole. Wir beide schießen also auf Handgranatenentfernung mit unseren372 Pi­stolen; eigentlich zu große Entfernung. Später erzählt mir GurltPGurlt, Leutnant, dass er durch Handgranate verwundet wurde (Gesäß). Auf der Suche nach meinem Gewehr komme ich mal weiter rechts, wo die Linie noch nicht ganz oben steht. Am Hang stehen DegenPDegen, Oberleutnant und HerbstPHerbst, Oberleutnant, beide aufrecht, Spazierstock als Feldherrenstab und weisen ihre Truppen (oder vielmehr was aus allen Bataillonen gemischt vor ihnen herumläuft) das weitere Vorrücken. Es gibt mehrmals auch französisches Artilleriefeuer, leider auch heftiges deutsches, das uns viele Verluste und noch mehr moralisch schlechte Wirkung zufügt. Dadurch muss zeitweise die Linie sogar zum Teil zurückgenommen werden, geht aber immer wieder vor. Am Hang finde ich den Musketier BraunPBraun, Musketier von der 2. MG Kompanie mit seinem MG, denselben, den ich in GunyLGuny wegen Meldung des Bataillons 3 Tage einsperren musste. Die Schützen sind zerplatzt‚ die Munition muss noch oben links liegen. Als das Feuer etwas nachlässt, gehen wir also links hinauf, finden auch richtig die Munition. Wir beide schießen nun eifrig, meist halbrechts, zuweilen auf einzelne Leute, die zurückflüchten, zuweilen auf ganze Scharen. Das MG schießt nur Einzelfeuer. Ich halte deshalb mit der rechten Hand den Gurt, mit der linken schlage ich jedes Mal den Schlosshebel, der senkrecht stehenbleibt, vor. So kommt ein langsames Dauerfeuer zustande. Schließlich schießt das Gewehr wieder besser. Zeitweise gibt’s nichts zu schießen. Wir sehen uns in den Löchern um. Viele Leichen, Deutsche und Franzosen. Einem französischen Sergeant, anscheinend Offiziers­aspirant, nehme ich Briefe ab. Da ich später finde, dass sie nichts militärisch Wichtiges enthalten, gebe ich sie nicht ab, sondern behalte sie als Erinnerung. Die Leichen sehen zum Teil schrecklich aus; manche sind noch halb lebendig. Mit einem Spaten schaffen wir uns besseren Stand für den Kasten, und zum G Knien. Als ein Infanterieflieger kommt, breiten wir Taschentücher aus, als er ganz nahe ist, winke ich auch. Doch kommt später noch oft deutsches Artilleriefeuer. Es finden sich noch 2 Schützen der MG‑Kompanie ein, so dass jetzt das Gewehr wieder ganz gefechtfertig ist. Mehrmals machen wir wegen des Artilleriefeuers Stellungswechsel, kommen dadurch ziemlich nach rechts. Neben uns ist eine Zeit lang Leutnant JohnPJohn, Leutnant vom 9/154. Ganz weit rechts sehen wir, wie man (anscheinend 19er) noch weiter vorgeht und viele Gefangene zurückschickt. Dann wieder mal starkes französisches Artilleriefeuer. Wir liegen in den Trichtern, rechts in einem das MG mit den 3 Schützen, links davon ich bei einem Leutnant von 110, der mir sagt, dass er gar nicht weiß, wo seine ganze Kompanie steckt. Die 110 sind soeben zu unserer Verstärkung heraufgekommen, aber jetzt natürlich auch alle Kompanien durcheinander 373 und mit unseren Verbänden gemischt. Immer wieder schlagen Granaten in die Nähe, Steine und Dreck prasseln über unsere Helme herunter, eine dicke Staub- und Rauchwolke weht über uns hin; bald wieder eine Granate und so fort. Es wird uns hier zu toll. Das Gewehr geht weiter rechts, ich nach links, ob ich nicht endlich das 3. Bataillon und meine Gewehre finde. Lange finde ich kein MG, endlich bei der Kuppe, nicht weit vom Osthang des WinterbergesLWinterberg, eins vom 110. Es hat einen sehr praktischen Dreifuß 🕮 und ist noch gut im Stande. Da an MG‑Zugführern nicht gerade Überfluss, betätige ich mich bei diesem Gewehr. Als wir einige Male ganz hübsch geschossen haben, wird das Feuer allerseits lebhafter. Aus dem Graben gar nicht weit vor uns springen Franzosen auf und laufen zurück, nicht von Trichter zu Trichter hüpfend, sondern in höchster Eile übers Gelände laufend, in ihren langen blauen Röcken. Wir schießen kräftig hinein, großartiges MG‑Ziel. Anfangs bekommen wir auch noch Handgranaten, obwohl die Entfernung zu weit, Gewehrgranaten und Nebelbomben. Doch die Franzosen kommen nicht mehr zu uns ran, sondern flüchten in immer größeren Scharen. Schließlich in ganzen Trupps. Mehrmals wird bei uns das Feuer gestoppt und versucht, die Franzosen durch Rufen und Winken zum Überlaufen zu bewegen. Als sie doch weiterlaufen, wird wieder von allen umso heftiger geschossen. Da ist mancher Franzose liegengeblieben. Wir konnten umso ungestörter schießen, als wir von drüben kaum noch Infanteriefeuer bekamen. Bald darauf aber, vermutlich nachdem die französische Artillerie beobachtet hatte, dass die Franzosen die vordere Linie geräumt hatten, fing sie an und unheimlich dichtes Granatfeuer auf uns zu legen, besonders gerade hier auf die Kuppe! Alles duckte sich dicht an die Böschung der Granattrichter und unter den Stahlhelm. Dauernd prasselte die Erde über uns hin und die Staub- und Rauchwolken flogen immer wieder über uns hin, trieben uns den Staub in die Augen, den Pulverdampf in die Nase und nahmen uns so häufig die ganze Sonne weg, dass ich lachend an die Pfeile der Perser denken musste.4Anspielung auf eine von Herodot in den Historien überlieferte Episode über die Schlacht bei den Thermophylen: Wenn die Pfeile der Perser so zahlreich sind, dass sie den Himmel verdunkeln, dann ist das für die Spartaner umso besser – sie können im Schatten fechten. Doch war’s sonst nicht zum Lachen. Die Sache war höchst ungemütlich, große Nervenspannung bei der völligen Untätigkeit. Jedenfalls war es viel schlimmer als der Sturm und die Infanterie- und Handgranatenkämpfe. Das war in den Mittagsstunden. Inzwischen wurde es Nachmittag. In der Nähe der Kuppe lag ein Fähnrich (PierlPPierl, Fähnrich?) anderes Regiment, am Kopf schwer verwundet. 374 Ein 110-Unteroffizier machte mich darauf aufmerksam. Es waren sonst gar keine 154er mehr auf der Kuppe. Die beiden letzten, die ich fand, waren so schlapp, dass sie ihn nicht schleppen konnten. Da nahm ihn schließlich der 110-Unteroffizier auf den Rücken und brachte ihn mit meiner Beihilfe zum BlockhausLWinterberg!Blockhaus. Dann ging ich zum MG zurück. Wo war nur das 3. Bataillon? Weshalb waren überhaupt alle 154er verschwunden? Sie konnten doch weder alle aufgerieben noch auch etwa durch 110 abgelöst worden sein? Später hörte ich, dass sich an vielen Stellen das Gerücht verbreitet hat, die Kompanie wäre durch 110 abgelöst; daraufhin sind viele hinuntergegangen; wahrscheinlich besonders als das schlimme starke Artilleriefeuer kam. Da ich haupsächlich Leute von II/154 gesehen hatte und vor dem Sturm das III. Bataillon links davon gestanden hatte, vermutete ich es links von der Kuppe. Ich sprang deshalb von der Hochfläche auf den Osthang des Berges hinunter, bekam aber plötzlich von halblinks MG‑Feuer, sodass ich mich schleunigst wieder nach rechts über die Bergnase drückte, unterhalb des BlockhausesLWinterberg!Blockhaus. Die Besetzung des Berges war jetzt sehr schwach; ob sie sich überhaupt würde halten können, war mir zweifelhaft. Wenn ich nur gewusst hätte, wo mein Bataillon war, Stab oder Truppe. ½ 4 ging ich hinunter, im Marsch Marsch bis zum Sumpf, dann weiter östlich bis an den Fahrweg mit der zerschossenen Förderbahn. Dort in kleinem Stollen verpustet. Ich fragte Leute, die vorbeikamen; sie meinten, MG‑Leute 154 säßen in einem der Unterstände am Hügelhang; ich konnte aber keinen finden. Ein Bataillonsstab säße etwas oberhalb im Hohlweg. Also dorthin. Plötzlich steht da 🕮bEs folgt hier in der Vorlage ein Blatt, das auf der Vorderseite eine hier nicht abgedruckte Karte mit der Aufschrift „Der Kampf um den Winterberg“ enthält.\WinterbgLWinterberg 2\HüttnerPHüttner, Leutnant. Wir begrüßen uns erfreut. Auch SchmiedlerPSchmiedler, Soldat. Wir sitzen auf der Treppe des linken Stollens, unten sind Stub 2 Bataillonsstäbe/110. Ich verschnaufe mich, berichte kurz, bekomme zu essen und trinken. HüttnerPHüttner, Leutnant erzählt, dass KuntzePKuntze, Hauptmann beim Vorgehen hier in den Hohlweg gegangen ist, sich mit meiner MG hinter mir zurückgehalten und hier auf den Hügel gesetzt hat (wohl als persönliche Bedeckung?!), und auch SchwarzPSchwarz, †1917, Unteroffizier und GoltschPGoltsch, Soldat. Später kommt SeibtPSeibt, Soldat zurück mit unbrauchbar gewordenem Gewehr; ist weiter rechts oben (oder halb oben?) gewesen. FiegePFiege, Soldat bleibt vorläufig verschwunden. Die 110er sind entsetzt, dass ich berichte, auf der Kuppe seien keine 154er mehr, nur noch 110er. Diese seien freiwillig hinaufgegangen, da das Bataillon hörte, die Sache stände schlimm oben, und unsere starken Verluste sah. Abends gehen wir rechts in den Stollen hinunter, vorn in den dreifachen Bet­375ten leider Ordonnanzen usw., hinten sitzen wir bei Hauptmann TschirnerPTschirner, Hauptmann (I/19). Ich berichte wie’s oben steht. Er ist am Vormittag auch oben gewesen, weiter rechts, auch mal bei DegenPDegen, Oberleutnant und HerbstPHerbst, Oberleutnant. HüttnerPHüttner, Leutnant erzählt, dass Hauptmann KuntzePKuntze, Hauptmann, überhaupt der ganze Stab III/154, nicht aufzufinden, nachdem er die Gewehre eingesetzt. Unteroffizier SchwarzPSchwarz, †1917, Unteroffizier fällt durch Artillerietreffer, Gefreiter SobaniaPSobania, Soldat übernimmt das Gewehr. HüttnerPHüttner, Leutnant hat Blinkspruch ans Regiment geschickt, dass das Bataillon nicht aufzufinden und um Befehl gebeten. Abends spät kommt endlich Befehl: 4 MG sollen morgen früh in Stellung. HüttnerPHüttner, Leutnant fordert Zug SchmiedlerPSchmiedler, Soldat (Gewehrführer KadischPKadisch, Soldat und KonwinskiPKonwinski, Soldat) und Zug Unteroffizier MüllerPMüller, Unteroffizier (MöserPMöser, Unteroffizier und BraunPBraun, Feldarzt). Ich soll sie in Stellung führen.

Von oben treffen immer wieder Meldungen über Kurzschießen5Schüsse, die die eigenen Linien treffen, weil sie nicht weit genug reichen. der eigenen Artillerie ein. TschirnerPTschirner, Hauptmann blinkt dauernd an das Regiment. Der Übelstand scheint schwer abzustellen, weil nicht festzustellen, welche Batterie oder welches Geschütz zu kurz schießt. Von oben wird angegeben: 15 m aus Richtung CorbenyLCorbeny.

Wir finden noch Platz auf den Lagerstätten der Ordonnanz. Früh 4h rücken wir ab. Vorher erkundigen wir uns beim Bataillon 110 über die Lage oben, da verschiedentlich widersprechende Nachrichten über das BlockhausLWinterberg!Blockhaus eingetroffen. Man sagt uns, das BlockhausLWinterberg!Blockhaus ist entweder feindlich oder neutral. Erst viel weiter rechts fängt die deutsche Linie an. 3/110 ist deren linker Flügel. Also nicht zu weit links kommen. Ich habe als Ordonnanz die Gefreiten NitzschePNitzsche, Soldat und SeibtPSeibt, Soldat mit. Klarer Vollmondschein. Den Pionierweg, bei der Gabelung rechts. Er führt in gleicher Höhe weiter. Wir schräg rechts den Berg hinauf. Trichter, umgefallene Bäume, Strauchwerk; mit Gewehren mühsames Vorwärtskommen. Wir lassen uns Zeit; es ist ganz ruhig. Oben erkunde ich erst die Linie. 3/110 geht links zum Glück doch bis ans BlockhausLWinterberg!Blockhaus. Folgende Aufstellung will ich:

Schmiedler Müller
\(\overbrace{\text{Kadisch\latexonly{\quad\;} Konwinski}}\) \(\overbrace{\text{Möser\latexonly{\quad} Braun}}\)
50 100 300 400 m vom Blockhaus nach rechts
3/110 5/154 7/19
9/154 Pickert 2/19
Leutnant
Dehmel
und John  🕮
PKadisch, SoldatPDehmel, LeutnantPJohn, LeutnantPKonwinski, SoldatPPickert, SoldatPSchmiedler, SoldatPMöser, UnteroffizierPBraun, FeldarztPMüller, Unteroffizier

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Von 154 finden wir nur noch sehr wenig oben: DehmelPDehmel, Leutnant (der abstinente WV) und JohnPJohn, Leutnant mit den Resten von HeidrichsPHeidrich, Soldat Kompanie (9/154) und PickertPPickert, Soldat mit 8 Mann von 5/154. Ich tröste, dass I/154 schon im Anmarsch ist; wir glauben, zur Ablösung ist auf dem rechten Flügel schon ziemliche Andeutung eines Grabens. Wir gehen in Ruhe wieder hinunter. Kein Schuss. Solch ein Stellungsbesuch zu passender Zeit ist ganz schön. Außerdem macht mir’s Spaß, dass ich als Kenner der Stellung fungieren kann, die MG einsetze, und unten Linie und eingesetzte MG aufzeichne. Unten berichte ich auch an das Bataillon 110 und an Hauptmann TschirnerPTschirner, Hauptmann (I/19), was ich beobachtet. Gerade bei der Rückkehr, 5h, treffe ich im Hohlweg I/154. Dabei PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant und die erste MG‑Kompanie. Ich schlafe im Stollen auf der schmalen Bank noch etwas. Inzwischen sind die beiden Gewehre GoltschPGoltsch, Soldat und SobaniaPSobania, Soldat herangeholt. Vormittags kommt ein unbrauchbar Gewordenes von oben. 3 Unbrauchbare werden jetzt (davon eins von der 2. MG‑Kompanie, mit BraunPBraun, Musketier) zum Regiment geschickt. Tagsüber wieder viele Kurzschussmeldungen von oben, die Hauptmann TschirnerPTschirner, Hauptmann weitergibt. Abends sagt HüttnerPHüttner, Leutnant, dass ich nachts SchmiedlerPSchmiedler, Soldat oben ablösen soll. Es kommt aber anders. Der Stab I/154 ist auch lange vergeblich gesucht worden. HüttnerPHüttner, Leutnant hat nach langem vergeblichen Suchen durch Patrouillen endlich erfahren, dass KuntzePKuntze, Hauptmann und HampePHampe, Hauptmann (II/154) links von uns sitzen und geht eine Zeitlang hinüber. Abends kommt eine Ordonnanz von MenzelPMenzel, Hauptmann (1. Bataillon), sodass wir auch erfahren, wo er sitzt. Nach der Neuverschiebung sind die vermischten Verbände in der vorderen Linie sauber geschieden. 154 besetzt den Abschnitt vom BlockhausLWinterberg!Blockhaus (eigentlich noch weiter links vom Pionierweg) nach rechts, und zwischen I., II., III. Bataillon. Die 1. Kompanie (WeißPWeiß, Soldat) liegt auf der Kuppe. Leutnant RiedelPRiedel, Leutnant ist durch Regimentsbefehl Kommandant der Kuppe und soll sie zum Stützpunkt ausbauen. Durch Regimentsbefehl sollen zu seiner Verstärkung 2 MG der 3. MG‑Kompanie kommen, die sich gleich beim Stab I/154 melden sollen. HüttnerPHüttner, Leutnant stellt mir einen Zug zusammen: Gewehrführer MöserPMöser, Unteroffizier und GoltschPGoltsch, Soldat, als meine Ordonnanz EichhornPEichhorn, Soldat. 7h abmarschiert. Wie wir aus dem Hohlweg kommen, bemerken wir, dass links die ganze Gegend, wo der Bataillonsstab sitzt, unter starkem deutschen Artilleriefeuer liegt (einige hundert m hinter der vorderen Linie!). Als es nicht bald aufhört, lasse ich den Zug rechts am Pionierweg bei den Unterständen unter der Bergnase und gehe allein zu MenzelPMenzel, Hauptmann. Schleppschacht ohne Wohnraum, gerade nach Norden offen. MenzelPMenzel, Hauptmann und SchubertPSchubert, Leutnant unten, das andere klemmt sich so in den schrägen Schleppschacht. SchubertPSchubert, Leutnant zeigt 377 mir auf der Karte die bekannte Linie südlich des Blockhauses. Der eigentliche Zweck des MG‑Zuges soll sein, nach links vor Chev­reuxLChev­reux6Chev­reux ist ein im Krieg zerstörter Ort, ungefähr zwei Kilometer südwestlich von Corbeny. zu schießen, wenn der dort erwartete französische Angriff eintritt. Es ist zweifelhaft, ob das möglich ist, wegen der Höhen westlich Chev­reuxLChev­reux. Bei SchubertPSchubert, Leutnant lasse ich Brieftasche und Notizbuch.7Vgl. TB 31. V. 1917R. Als das Feuer etwas nachlässt, brechen wir auf. In langsamem Tempo dicht rechts von der Bergnase in die Höhe. Oben ist’s noch zu hell. Der Zug soll sich einstweilen in der Gegend des Blockhauses verkriechen. Dort in einem flachen Trichter finde ich WeißPWeiß, Soldat, dann auch RiedelPRiedel, Leutnant. Mit diesen gehe ich vor. Stellen, um einen gegen uns gerichteten Angriff abzuwehren, finden sich. Links nahe der Kante liegt der Offizierstellvertreter KambachPKambach, Offizierstellvertreter. Wir sehen uns die Gegend nach Chev­reuxLChev­reux an. Da die deutsche Linie dort ca. 150 m 🕮 südlich des Dorfes laufen soll, können wir sie uns einigermaßen zurechtkombinieren, und glauben dann auch die feindliche Linie stellenweise zu erkennen. Doch das Schießen gegen Chev­reuxLChev­reux ist vor dem morgigen Tag doch nicht möglich. Ich werde also bei Dunkelheit die MG frontal einsetzen. Da es anfängt zu regnen (das fehlt noch gerade!) krieche ich zum MG‑Zug in einen Balkenunterstand etwas unterhalb des zusammengeschossenen „Blockhauses“LWinterberg!Blockhaus. Ich ermahne die Leute, sich noch hinzulegen, da die Nacht draußen ungemütlich werden wird. ½ 11 wird’s dunkel. Es regnet. Wir gehen vor. Ich teile so ein, dass nur ein Gewehrführer vorn ist, und außerdem an jedem Gewehr 2 Leute. Das geht, da sie nahe zusammenstehen. Um 2h soll dann abgelöst werden. Für beide Gewehre wird ein Stand gefunden. Mit den übrigen Leuten in den Unterstand zurück. Mit RiedelPRiedel, Leutnant vertrag ich mich sehr gut. Er erinnert an SchottPSchott, in seiner Ruhe, Selbstverständlichkeit. Teile Brot und Kaffee gern mit ihm. Er hat plötzlich Kuchenreste (der Bataillonsstab hat Post bekommen). Wir legen uns auch schlafen. Doch dauernd unterbrochen. Beide Gewehre kommen nacheinander herein. Das eine bringen wir gut wieder in Schuss, das zweite nur einigermaßen. Ich lasse es als Reserve hier hinten und teile neu ein. NiebelPNiebel, Soldat, der Drückeberger, ist schon wieder verschwunden.

Es ist früh ruhig, vom Angriff bei Chev­reuxLChev­reux nichts zu merken; ich lasse deshalb nur 1 MG vorn in Stellung. Die Leute haben dabei den Eingang eines Unterstandes gefunden. Hauptmann MenzelPMenzel, Hauptmann kommt herauf in Stellung. Wir gehen hinaus, treffen ihn aber nicht mehr. Blinkerleute sind 378 da, können aber leider keine Blinkverbindung mit dem Regiment bekommen. Das wäre sehr erwünscht, wegen der vielen Kurzschüsse. Gestern Abend ist durch eigene Artillerie mein Gewehrführer GoltschPGoltsch, Soldat verwundet, von der 1. MG‑Kompanie Leutnant PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant und eine MG‑Besatzung tot. Ich gehe hin und nehme PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant die Sachen ab; Uhr und Portemonnaie sind schon weg. Er, die Leute und das MG sind durch viele Splitter arg getroffen. Später gehe ich mal zu SchmiedlerPSchmiedler, Soldat hinüber und treffe gerade HüttnerPHüttner, Leutnant, der sich die Stellung ansehen will. Auch BrodtreißPBrodtreiß, Hauptmann treffe ich dort, der mit den gesammelten Versprengten von 12/154 wieder herabgekommen ist. Bei SchmiedlerPSchmiedler, Soldat DehmelPDehmel, Leutnant und JohnPJohn, Leutnant, die trotz der beiden üblen Nächte draußen noch munter sind. Eine Seltersflasche, eben heraufgekommen, geht bei uns im Kreise herum. Hier ist schon einigermaßen ein Graben vorhanden. Weiter links ist KupperPKupper, Soldat, führt jetzt die 3. Kompanie, er will KlopstöckPKlopstöck, Leutnant =? Klopsteg, Friedrich, †1917, Leutnant, PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant usw. beerdigen. HüttnerPHüttner, Leutnant kommt mit zu uns nach links. Ich gebe ihm die Sachen PaechsPPaech, Adolf, †1917, Leutnant, und zeige ihm den Weg hinunter. Er hat mir als Ersatz FiegePFiege, Soldat und 2 Leute heraufgeschickt. Die sind jetzt den Tag über vorn am Gewehr; es ist ruhig und regnet nicht. Zuweilen wieder eigene Kurzschüsse. KupperPKupper, Soldat kommt aufgeregt zu uns und schimpft heftig. Wenn’s nochmal vorkäme, mache er mit der Kompanie kehrt marsch. Er habe eine geharnischte Meldung nach unten geschickt. Als es nachmittagsmittags immer wieder vorkommt, setzt auch WeißPWeiß, Soldat eine „dicke“ Meldung auf; „man muss es den Brüdern mal ganz grau in grau malen, sonst kapieren sie’s nicht“. „Der WinterbergLWinterberg ist infolge starker Verluste und moralischer Erschütterung durch häufige Beschießung mit eigener Artillerie nicht mehr in verteidigungsfähigem Zustande. …“ Nachmittags bekomme ich (daraufhin?) durch HüttnerPHüttner, Leutnant Regimentsbefehl: 1) Bei Erscheinen unserer Infanterieflieger weiße Tücher auslegen, 2) der WinterbergLWinterberg muss unter allen Umständen gehalten werden, 3) heute Abend erfolgt Ablösung durch Gr7. WeißPWeiß, Soldat bekommt 🕮 keinen solchen Befehl. Ob also nur II. und III. Bataillon abgelöst werden, da I. erst später heraufgekommen? Dann müsste ich wohl auch länger hierbleiben. Nachmittags wird vom I. Bataillon Fernsprechleitung heraufgelegt, funktioniert aber nicht ordentlich. MenzelPMenzel, Hauptmann ist jetzt in die Unterstände unterhalb der Nase umgezogen, weil er drüben links von der deutschen Artillerie zu stark beschossen wurde. Ich teile jetzt meinen Zug so ein: Linkes Gewehr (jetzt in Reserve in unserem Unterstand), Unteroffizier MöserPMöser, Unteroffizier, FischerPFischer, Soldat, SkarabisPSkarabis, Soldat, HertelPHertel, Soldat, PohlPPohl, Soldat; rechtes Gewehr (in Stellung) Gefreiter FiegePFiege, Soldat, MehnertPMehnert, Soldat, BodichPBodich, Soldat, SchefflerPScheffler, Soldat, LedkiPLedki, Soldat. Ordonnanz EichhornPEichhorn, Soldat. Unten schon hatten die Leute Brot, Butter, Kaffee gefunden und mich mitversorgt. Hier haben sie auch Hart­spiri­tus 379 und kochen etwas Kaffee. Wir hocken gemütlich in unserm Unterstand zusammen. WeißPWeiß, Soldat erzählt mir von einem Befehl über die Schablone für Chiffrierschrift der Blink- usw. Sprache und möchte die Anzahl der Möglichkeiten wissen; ich leite ihm die Formel ab. Wir schwatzen, trinken mal Kaffee, schlafen auch mal wieder. Dabei höre ich einmal, wie MöserPMöser, Unteroffizier und seine Leute miteinander sprechen: Dem Carnap passiere nie etwas; jedes Mal ist er im schlimmsten Schlamassel dabei, damals bei DouaumontLDouaumont und hier beim Sturm wieder. Später kommt SchubertPSchubert, Leutnant selbst herauf, prüft die Fernsprechleitung mit Kopffernhörer und bringt sie mit Erdung anstatt Doppelleitung tatsächlich in Ordnung. Dann geht er hinaus, besieht vorn einiges. Später sitzen wir wieder alle zusammen im Unterstand, pflaumen uns an und sind fidel.

Abends morgens½ 7 Uhr. Plötzlich ruft’s draußen: Die Franzosen greifen an! Umgeschnallt, Stahlhelm auf und hinaus! MöserPMöser, Unteroffizier und seine Leute nehmen das Gewehr, EichhornPEichhorn, Soldat kommt mit mir, und es geht schleunigst nach vorn. Wie wir bei FiegesPFiege, Soldat Gewehr ankommen, schießt das schon nicht mehr. Wie ich das sehe, packe ich den Rückstoßverstärker von dem Gewehr, das MöserPMöser, Unteroffizier selbst trägt, und zu zweien springen wir so mit dem Gewehr in den Trichter hinüber. Das andere Gewehr hat einen Schuss durch den Mantel. Furchtbares Durcheinander, ich weiß nicht, wer alles verwundet wird. Eine Zeit lang schieße ich mal allein mit EichhornPEichhorn, Soldat, die Knarre schießt wieder nicht richtig. Schließlich ist’s ganz aus damit. Einmal taumelt EichhornPEichhorn, Soldat vom Gewehr zurück, verwundet? Ich schieße längst mit Infanteriegewehr eines Verwundeten. Auf SchubertsPSchubert, Leutnant Anweisung holt MöserPMöser, Unteroffizier von den angesammelten Waffen am Blockhaus einen Stahlhelm voll Infanteriemunition. Ebenso nehmen wir allen Verwundeten und Toten die Munition ab. So reicht’s damit einigermaßen. Doch Handgranaten sind knapp. Da inzwischen die Entfernung zu den Franzosen zu groß, ermahnen RiedelPRiedel, Leutnant und ich, Handgranaten zu sparen. SchubertPSchubert, Leutnant läuft zum Fernsprecher, um Munition anzufordern. Das französische Feuer ist sehr dicht, sie stehen drüben in dicken Scharen; es werden dadurch viele von uns verwundet, ein Kopfschuss nach dem andern. Viele der Leute wagen schon nicht mehr, den Kopf herauszustrecken, schießen unsinnig mit hochgehobenem Gewehr. Man muss nach jedem Schuss niederducken, um gedeckt zu laden und hat selbst kaum mehr Ruhe zum Zielen. Dabei ist höchstes Tempo im Schießen geboten, um die Franzosen nicht vorkommen zu lassen. Von drüben kommen Gewehrgranaten. Viele Leute liegen noch in hinteren Trichtern, oder schießen wohl mit, aber nicht weit genug vorn. Zum Glück sind wir hier im Abschnitt 4 Offiziere (WeißPWeiß, Soldat, SchubertPSchubert, Leutnant, 380 RiedelPRiedel, Leutnant), wir geben uns alle Mühe, durch Rufen, Winken und eigenes Beispiel alle Leute vorzubringen. Die Linie wird schwach; ich zweifle schon, ob wir sie werden halten können. Doch wenn wir zurückgehen, so ist es unser aller Untergang; denn beim Rückzug den steilen Hang hinunter würde alles vernichtet werden. In der Verzweiflung gelingt uns das Unglaubliche, das Einzige‚ 🕮\WinterbgLWinterberg 3\was helfen kann: Die Bewegung nach vorwärts. Nur dadurch kann der Gegner, dem unser Feuer zu wenig nah, moralisch erschüttert werden. Zum wirklichen Angriff sind wir viel zu schwach, es kann sich nur um einen kleinen Sprung handeln, nur um die Andeutung der Vorwärtsbewegung. Ich treffe mit RiedelPRiedel, Leutnant zusammen. Ein paar kurze, durch das Getöse geschriene Worte verständigen uns: Wir müssen vor! Es gelingt uns, das Feuer zu stoppen und stattdessen ein markerschütterndes Hurraschreien hervorzurufen, das dem Franzosen trotz all seines Geknatters in die Knochen fahren muss. Dann schreien wir beide aus Leibeskräften dazu: Vor! Vor! Winken mit den Armen, und es gelingt uns, die Beherztesten mit uns vorzureißen, nur einen kurzen Sprung, ein oder zwei Trichter weit. Andere kommen nach. Und plötzlich wieder Schnellfeuer auf den erschreckten Feind. Da verliert der den Halt, einige wenden den Rücken, dann mehrere. Und das bringt allen Mut unserer Leute wieder hoch. Das wahnsinnig dichte Pfeifen um unsre Köpfe hat etwas nachgelassen, drum wagen wir alle, den Kopf herauszustecken und sehen da Leute fliehen hellblaue, lange Franzosenröcke und zwar von hinten. Und da schießt natürlich alles wieder mit Feuereifer. Zwar flieht der Feind nur teilweise, doch der Mut unserer Leute ist ist gerettet, der des Gegners erschüttert, und damit haben wir die Oberhand. Der erste, überraschende, übermächtige Stoß ist abgeschlagen! Aber nicht endgültig zurückgeschlagen. Drüben stehen sie noch, und wir müssen schießen, was das Zeug hält. Mein Gewehr ist heiß, k die Eisenteile kaum mehr anzufassen. Plötzlich ein Schlag vor den Kopf, ich taumele zurück, Blut läuft mir übers Gesicht. Ich nehme den Stahlhelm ab: Er hat ein handlanges, zackig gerissenes Loch. Während ich in Eile mein Verbandpäckchen auspacke, schwebt mir ein Bild vor, das ich vorgestern gesehen: Ein sterbender Mann, seitlich auf Gepäck oder Leichen liegend, sodass der Kopf frei hängt, aus einem Loch in der Schläfe strömt das hellrote Blut wie ein Brünnlein herab; der Mann zuckte noch, ein vollbeschäftigter Sanitäter rief mir zu, ob er den noch verbinden sollte; „hat keinen Zweck mehr“. Würde ich auch bald so liegen? Ein Mann sprang auf meinen Ruf herbei, band mir mein Päckchen und noch ein zweites um und sagte, es sei nur ein Streifschuss. Ob er mich belügen will, weil’s doch bald vorbei? Wir 381 sitzen beide im Granatenloch, er macht mir sorgsam den Verband, währenddessen winke ich mit erhobenem Arm RiedelPRiedel, Leutnant zu, der in einem Loch links rückwärts von mir liegt und schießt. Er sieht’s aber nicht. Wenn ich mich nicht irre, habe ich auch den jüngeren SikeniusPSikenius, Soldat mit verbundenem Kopf herumlaufen sehen. Dann spring’ ich in die nächsten Trichter zurück und laufe schließlich, so gut es geht. Ein Sanitäter neben dem BlockhausLWinterberg!Blockhaus ruft mir zu, dass ich einen Augenblick warten soll. Dann bindet er mir noch ein Verbandpäckchen drüber. Blutet es denn so stark? denke ich. Einmal fährt’s mir durch den Kopf: Jetzt muss aber bald der Schmerz anfangen, dann die Schwäche, schließlich Bewusstlosigkeit, und was dann? Doch immer noch bin ich munter und eile mit einem verwundeten Unteroffizier‚ 🕮 so gut es geht, den getretenen Pfad längs der Nase hinunter, durch Trichter, über Bäume und Sträucher, in den Hohlweg. Noch immer bin ich bei Kräften, doch etwas dösig im Kopf. Ich spreche mit klarem Bewusstsein, aber langsam und in etwas erregtem Pathos zu HüttnerPHüttner, Leutnant, KuntzePKuntze, Hauptmann, RadziejPRadziej, Leutnant, die in den Stolleneingängen stehen. Ich gebe kurzen Bericht, dass wir den Berg halten, aber mit Mühe; dass die Feinde zurückgegangen sind, aber nicht endgültig; ich fordere dringend auf, Handgranaten nach oben zu schicken. Ich verlange nach dem Arzt, werde vergeblich von einem Stollen in den anderen geschickt. Endlich finde ich die Verbandsstelle rechts vom Hohlweg in der Wellblechbaracke neben den MG‑Schlitten. Der Arzt macht mir einen neuen Verband. „Sie haben Glück gehabt“. Während des Verbindens kommt SeidelPSeidel, Leutnant und gibt mir die Hand, ohne dass ich ihn sehen kann. Hinterher erzähle ich, wie heftig wir haben schießen müssen, von unserem tüchtigen Handgranatenwerfen und dass wir den Berg auch halten. Dann leg’ ich mich auf das Lager des Arztes. Ich überlege: Entweder auch die Kugel ist in den Kopf gegangen und wunderbarerweise tritt noch keine Bewusstlosigkeit ein und auch hier der Arzt beschwindelt mich (aber das ist doch sehr unwahrscheinlich), oder es ist wirklich nur eine ganz leichte Sache. Dass der Schmerz noch immer nicht eintritt, wundert mich sehr. Wann werden die vom Schlag betäubten Nerven der Wundstelle aufwachen? Als der Arzt die Bude zu voll hat, lässt er den Schub der Marschfähigen losgehen, ich gehe natürlich mit. Ich verabschiede mich noch von KunzePKuntze, Hauptmann, HüttnerPHüttner, Leutnant finde ich nicht. KuntzePKuntze, Hauptmann meint, ich solle warten, bis es ruhiger wird, da der Hohlweg und besonders unten die Kreuzungsstelle immer stark unter Feuer liegen. Doch ich will lieber weg. RadziejPRadziej, Leutnant besorgt mir einen Stahlhelm. Den halte ich über den Kopf und trabe mit langen Schritten den anderen nach, etwas den Hohlweg hinunter, dann rechts (östlich) in den Wald hinein. In ein paar Minuten sind wir 382 im HeringstunnelLHeringstunnel. 1‚80 hoch, 2 m breit, läuft er sehr tief hinein, soll drüben in der Nähe von Chev­reuxLChev­reux wieder Ausgang haben. Ein Bataillonsstab, viele Soldaten, hinten weit der Verbandsplatz. Dort finde ich Doktor BraunPBraun, Feldarzt (1/157). Er sagt mir, dass auf meinem Zettel steht: Streifschuss, und richtig entziffere ich das jetzt auch, während ich es vorher als „Infanterieschuss links“ gelesen hatte; in dieser dienstlichen Meldung wird der Arzt ja wohl nicht schwindeln! Er stärkt mich mit Kaffee und Butterbrot, ich erzähle viel von oben, bin sehr munter. Der Arzt dort meint, ich habe ja eine eiserne Natur. Gewiss, so leicht bin ich nicht totzukriegen. Später leg’ ich mich etwas hin, horche aber häufig auf, wenn Verwundete kommen, und lasse mir zuweilen kurz sagen, wie’s steht, wenn einer vom WinterbergLWinterberg kommt. Der Berg wird noch gehalten. Zeitweise ist draußen wieder heftiger Lärm, erst abends spät wird’s still, wenigstens oben auf dem Berg. Im Hintergelände immer noch Artilleriekämpfe. Etwa 12hmarschieren wir ab. Vorn 3 Tragbahren, dann ein langer Zug Leichtverwundeter. Im Ausgang des HeringstunnelsLHeringstunnel treffe ich noch SobaniaPSobania, Soldat, MüllerPMüller, Unteroffizier gehend. SchwellikPSchwellik, Soldat (1. MG‑Kompanie) liegend, und andere. Ich gehe meist mit Unteroffizier BresmannPBresmann, Unteroffizier (1/154) zusammen, der am 7. abends in unserem Unterstand war. Wir gehen 🕮 immer schmale Pfade quer durch den Wald, bekommen daher auch kein Feuer in die Nähe. Ich bin munter, habe keine Schmerzen. Nordwärts nach Tuilerie, gleich weiter nach AizellesLAizelles.OAizelles

OAizelles Unterwegs treffen wir RetzowichPRaschewich, Soldat mit den Feldköchen und bekommen etwas Essen und Trinken ab. In AizellesLAizelles hören wir, dass die Autos für die Schwerverwundeten nötig sind. Was irgend laufen kann, muss weiter. Der Arzt sagt, ich soll den ganzen Trupp noch nach MontaiguLMontaigu bringen, darf nicht erst in ins Quartier. In Saint ThomasLSaint Thomas lasse ich die Leute unter einem Unteroffizier weitergehen, gehe selbst mit einem jungen Unteroffizier (ZalewskiPZalewski, Unteroffizier? 1. Kompanie? oder 12.) über die Waldhöhe, durch OutreLOutre, verlaufe mich auf die große Straße, endlich vom Bahnhof ErmeLErme!Bahnhof nach RamecourtLRamecourt. 4 oder 5h. Wir sind jetzt sehr müde. Die Schreibstube ist leer, Schreck! Im Quartier zum Glück die Burschen. Wir essen Brote und ChasPCarnap, Elisabeth, 1895–1987, auch Cha oder Chacha, Grafologin, Tochter von Luisa und Heinrich Schöndube, von 1917 bis 1929 verh. mit Rudolf Carnap Kuchen, ich ziehe mich um, gebe ZabierskiPZabierski, Rudolf Carnaps „Bursche“ Anweisungen zum Packen und rechne mit ihm ab. Wir 2 fahren dann nach MontaiguLMontaigu in unserem Wagen. Gleich im Auto weiter nach über SissonneLSissonne nach Sainte-PreuveLSainte-Preuve.OSainte PreuvecAm Ende des Textes zwei schräge Striche über etwa ein Drittel der Seite.


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