Es ist früh ruhig, vom Angriff bei ChevreuxLChevreux nichts zu merken; ich lasse deshalb nur 1 MG vorn in Stellung. Die Leute haben dabei den Eingang eines Unterstandes gefunden. Hauptmann MenzelPMenzel, Hauptmann kommt herauf in Stellung. Wir gehen hinaus, treffen ihn aber nicht mehr. Blinkerleute sind 378 da, können aber leider keine Blinkverbindung mit dem Regiment bekommen. Das wäre sehr erwünscht, wegen der vielen Kurzschüsse. Gestern Abend ist durch eigene Artillerie mein Gewehrführer GoltschPGoltsch, Soldat verwundet, von der 1. MG‑Kompanie Leutnant PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant und eine MG‑Besatzung tot. Ich gehe hin und nehme PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant die Sachen ab; Uhr und Portemonnaie sind schon weg. Er, die Leute und das MG sind durch viele Splitter arg getroffen. Später gehe ich mal zu SchmiedlerPSchmiedler, Soldat hinüber und treffe gerade HüttnerPHüttner, Leutnant, der sich die Stellung ansehen will. Auch BrodtreißPBrodtreiß, Hauptmann treffe ich dort, der mit den gesammelten Versprengten von 12/154 wieder herabgekommen ist. Bei SchmiedlerPSchmiedler, Soldat DehmelPDehmel, Leutnant und JohnPJohn, Leutnant, die trotz der beiden üblen Nächte draußen noch munter sind. Eine Seltersflasche, eben heraufgekommen, geht bei uns im Kreise herum. Hier ist schon einigermaßen ein Graben vorhanden. Weiter links ist KupperPKupper, Soldat, führt jetzt die 3. Kompanie, er will KlopstöckPKlopstöck, Leutnant =? Klopsteg, Friedrich, †1917, Leutnant, PaechPPaech, Adolf, †1917, Leutnant usw. beerdigen. HüttnerPHüttner, Leutnant kommt mit zu uns nach links. Ich gebe ihm die Sachen PaechsPPaech, Adolf, †1917, Leutnant, und zeige ihm den Weg hinunter. Er hat mir als Ersatz FiegePFiege, Soldat und 2 Leute heraufgeschickt. Die sind jetzt den Tag über vorn am Gewehr; es ist ruhig und regnet nicht. Zuweilen wieder eigene Kurzschüsse. KupperPKupper, Soldat kommt aufgeregt zu uns und schimpft heftig. Wenn’s nochmal vorkäme, mache er mit der Kompanie kehrt marsch. Er habe eine geharnischte Meldung nach unten geschickt. Als es nachmittagsmittags immer wieder vorkommt, setzt auch WeißPWeiß, Soldat eine „dicke“ Meldung auf; „man muss es den Brüdern mal ganz grau in grau malen, sonst kapieren sie’s nicht“. „Der WinterbergLWinterberg ist infolge starker Verluste und moralischer Erschütterung durch häufige Beschießung mit eigener Artillerie nicht mehr in verteidigungsfähigem Zustande. …“ Nachmittags bekomme ich (daraufhin?) durch HüttnerPHüttner, Leutnant Regimentsbefehl: 1) Bei Erscheinen unserer Infanterieflieger weiße Tücher auslegen, 2) der WinterbergLWinterberg muss unter allen Umständen gehalten werden, 3) heute Abend erfolgt Ablösung durch Gr7. WeißPWeiß, Soldat bekommt 🕮 keinen solchen Befehl. Ob also nur II. und III. Bataillon abgelöst werden, da I. erst später heraufgekommen? Dann müsste ich wohl auch länger hierbleiben. Nachmittags wird vom I. Bataillon Fernsprechleitung heraufgelegt, funktioniert aber nicht ordentlich. MenzelPMenzel, Hauptmann ist jetzt in die Unterstände unterhalb der Nase umgezogen, weil er drüben links von der deutschen Artillerie zu stark beschossen wurde. Ich teile jetzt meinen Zug so ein: Linkes Gewehr (jetzt in Reserve in unserem Unterstand), Unteroffizier MöserPMöser, Unteroffizier, FischerPFischer, Soldat, SkarabisPSkarabis, Soldat, HertelPHertel, Soldat, PohlPPohl, Soldat; rechtes Gewehr (in Stellung) Gefreiter FiegePFiege, Soldat, MehnertPMehnert, Soldat, BodichPBodich, Soldat, SchefflerPScheffler, Soldat, LedkiPLedki, Soldat. Ordonnanz EichhornPEichhorn, Soldat. Unten schon hatten die Leute Brot, Butter, Kaffee gefunden und mich mitversorgt. Hier haben sie auch Hartspiritus 379 und kochen etwas Kaffee. Wir hocken gemütlich in unserm Unterstand zusammen. WeißPWeiß, Soldat erzählt mir von einem Befehl über die Schablone für Chiffrierschrift der Blink- usw. Sprache und möchte die Anzahl der Möglichkeiten wissen; ich leite ihm die Formel ab. Wir schwatzen, trinken mal Kaffee, schlafen auch mal wieder. Dabei höre ich einmal, wie MöserPMöser, Unteroffizier und seine Leute miteinander sprechen: Dem Carnap passiere nie etwas; jedes Mal ist er im schlimmsten Schlamassel dabei, damals bei DouaumontLDouaumont und hier beim Sturm wieder. Später kommt SchubertPSchubert, Leutnant selbst herauf, prüft die Fernsprechleitung mit Kopffernhörer und bringt sie mit Erdung anstatt Doppelleitung tatsächlich in Ordnung. Dann geht er hinaus, besieht vorn einiges. Später sitzen wir wieder alle zusammen im Unterstand, pflaumen uns an und sind fidel.
Abends morgens½ 7 Uhr. Plötzlich ruft’s draußen: Die Franzosen greifen an! Umgeschnallt, Stahlhelm auf und hinaus! MöserPMöser, Unteroffizier und seine Leute nehmen das Gewehr, EichhornPEichhorn, Soldat kommt mit mir, und es geht schleunigst nach vorn. Wie wir bei FiegesPFiege, Soldat Gewehr ankommen, schießt das schon nicht mehr. Wie ich das sehe, packe ich den Rückstoßverstärker von dem Gewehr, das MöserPMöser, Unteroffizier selbst trägt, und zu zweien springen wir so mit dem Gewehr in den Trichter hinüber. Das andere Gewehr hat einen Schuss durch den Mantel. Furchtbares Durcheinander, ich weiß nicht, wer alles verwundet wird. Eine Zeit lang schieße ich mal allein mit EichhornPEichhorn, Soldat, die Knarre schießt wieder nicht richtig. Schließlich ist’s ganz aus damit. Einmal taumelt EichhornPEichhorn, Soldat vom Gewehr zurück, verwundet? Ich schieße längst mit Infanteriegewehr eines Verwundeten. Auf SchubertsPSchubert, Leutnant Anweisung holt MöserPMöser, Unteroffizier von den angesammelten Waffen am Blockhaus einen Stahlhelm voll Infanteriemunition. Ebenso nehmen wir allen Verwundeten und Toten die Munition ab. So reicht’s damit einigermaßen. Doch Handgranaten sind knapp. Da inzwischen die Entfernung zu den Franzosen zu groß, ermahnen RiedelPRiedel, Leutnant und ich, Handgranaten zu sparen. SchubertPSchubert, Leutnant läuft zum Fernsprecher, um Munition anzufordern. Das französische Feuer ist sehr dicht, sie stehen drüben in dicken Scharen; es werden dadurch viele von uns verwundet, ein Kopfschuss nach dem andern. Viele der Leute wagen schon nicht mehr, den Kopf herauszustrecken, schießen unsinnig mit hochgehobenem Gewehr. Man muss nach jedem Schuss niederducken, um gedeckt zu laden und hat selbst kaum mehr Ruhe zum Zielen. Dabei ist höchstes Tempo im Schießen geboten, um die Franzosen nicht vorkommen zu lassen. Von drüben kommen Gewehrgranaten. Viele Leute liegen noch in hinteren Trichtern, oder schießen wohl mit, aber nicht weit genug vorn. Zum Glück sind wir hier im Abschnitt 4 Offiziere (WeißPWeiß, Soldat, SchubertPSchubert, Leutnant, 380 RiedelPRiedel, Leutnant), wir geben uns alle Mühe, durch Rufen, Winken und eigenes Beispiel alle Leute vorzubringen. Die Linie wird schwach; ich zweifle schon, ob wir sie werden halten können. Doch wenn wir zurückgehen, so ist es unser aller Untergang; denn beim Rückzug den steilen Hang hinunter würde alles vernichtet werden. In der Verzweiflung gelingt uns das Unglaubliche, das Einzige‚ 🕮\WinterbgLWinterberg 3\was helfen kann: Die Bewegung nach vorwärts. Nur dadurch kann der Gegner, dem unser Feuer zu wenig nah, moralisch erschüttert werden. Zum wirklichen Angriff sind wir viel zu schwach, es kann sich nur um einen kleinen Sprung handeln, nur um die Andeutung der Vorwärtsbewegung. Ich treffe mit RiedelPRiedel, Leutnant zusammen. Ein paar kurze, durch das Getöse geschriene Worte verständigen uns: Wir müssen vor! Es gelingt uns, das Feuer zu stoppen und stattdessen ein markerschütterndes Hurraschreien hervorzurufen, das dem Franzosen trotz all seines Geknatters in die Knochen fahren muss. Dann schreien wir beide aus Leibeskräften dazu: Vor! Vor! Winken mit den Armen, und es gelingt uns, die Beherztesten mit uns vorzureißen, nur einen kurzen Sprung, ein oder zwei Trichter weit. Andere kommen nach. Und plötzlich wieder Schnellfeuer auf den erschreckten Feind. Da verliert der den Halt, einige wenden den Rücken, dann mehrere. Und das bringt allen Mut unserer Leute wieder hoch. Das wahnsinnig dichte Pfeifen um unsre Köpfe hat etwas nachgelassen, drum wagen wir alle, den Kopf herauszustecken und sehen da Leute fliehen hellblaue, lange Franzosenröcke und zwar von hinten. Und da schießt natürlich alles wieder mit Feuereifer. Zwar flieht der Feind nur teilweise, doch der Mut unserer Leute ist ist gerettet, der des Gegners erschüttert, und damit haben wir die Oberhand. Der erste, überraschende, übermächtige Stoß ist abgeschlagen! Aber nicht endgültig zurückgeschlagen. Drüben stehen sie noch, und wir müssen schießen, was das Zeug hält. Mein Gewehr ist heiß, k die Eisenteile kaum mehr anzufassen. Plötzlich ein Schlag vor den Kopf, ich taumele zurück, Blut läuft mir übers Gesicht. Ich nehme den Stahlhelm ab: Er hat ein handlanges, zackig gerissenes Loch. Während ich in Eile mein Verbandpäckchen auspacke, schwebt mir ein Bild vor, das ich vorgestern gesehen: Ein sterbender Mann, seitlich auf Gepäck oder Leichen liegend, sodass der Kopf frei hängt, aus einem Loch in der Schläfe strömt das hellrote Blut wie ein Brünnlein herab; der Mann zuckte noch, ein vollbeschäftigter Sanitäter rief mir zu, ob er den noch verbinden sollte; „hat keinen Zweck mehr“. Würde ich auch bald so liegen? Ein Mann sprang auf meinen Ruf herbei, band mir mein Päckchen und noch ein zweites um und sagte, es sei nur ein Streifschuss. Ob er mich belügen will, weil’s doch bald vorbei? Wir 381 sitzen beide im Granatenloch, er macht mir sorgsam den Verband, währenddessen winke ich mit erhobenem Arm RiedelPRiedel, Leutnant zu, der in einem Loch links rückwärts von mir liegt und schießt. Er sieht’s aber nicht. Wenn ich mich nicht irre, habe ich auch den jüngeren SikeniusPSikenius, Soldat mit verbundenem Kopf herumlaufen sehen. Dann spring’ ich in die nächsten Trichter zurück und laufe schließlich, so gut es geht. Ein Sanitäter neben dem BlockhausLWinterberg!Blockhaus ruft mir zu, dass ich einen Augenblick warten soll. Dann bindet er mir noch ein Verbandpäckchen drüber. Blutet es denn so stark? denke ich. Einmal fährt’s mir durch den Kopf: Jetzt muss aber bald der Schmerz anfangen, dann die Schwäche, schließlich Bewusstlosigkeit, und was dann? Doch immer noch bin ich munter und eile mit einem verwundeten Unteroffizier‚ 🕮 so gut es geht, den getretenen Pfad längs der Nase hinunter, durch Trichter, über Bäume und Sträucher, in den Hohlweg. Noch immer bin ich bei Kräften, doch etwas dösig im Kopf. Ich spreche mit klarem Bewusstsein, aber langsam und in etwas erregtem Pathos zu HüttnerPHüttner, Leutnant, KuntzePKuntze, Hauptmann, RadziejPRadziej, Leutnant, die in den Stolleneingängen stehen. Ich gebe kurzen Bericht, dass wir den Berg halten, aber mit Mühe; dass die Feinde zurückgegangen sind, aber nicht endgültig; ich fordere dringend auf, Handgranaten nach oben zu schicken. Ich verlange nach dem Arzt, werde vergeblich von einem Stollen in den anderen geschickt. Endlich finde ich die Verbandsstelle rechts vom Hohlweg in der Wellblechbaracke neben den MG‑Schlitten. Der Arzt macht mir einen neuen Verband. „Sie haben Glück gehabt“. Während des Verbindens kommt SeidelPSeidel, Leutnant und gibt mir die Hand, ohne dass ich ihn sehen kann. Hinterher erzähle ich, wie heftig wir haben schießen müssen, von unserem tüchtigen Handgranatenwerfen und dass wir den Berg auch halten. Dann leg’ ich mich auf das Lager des Arztes. Ich überlege: Entweder auch die Kugel ist in den Kopf gegangen und wunderbarerweise tritt noch keine Bewusstlosigkeit ein und auch hier der Arzt beschwindelt mich (aber das ist doch sehr unwahrscheinlich), oder es ist wirklich nur eine ganz leichte Sache. Dass der Schmerz noch immer nicht eintritt, wundert mich sehr. Wann werden die vom Schlag betäubten Nerven der Wundstelle aufwachen? Als der Arzt die Bude zu voll hat, lässt er den Schub der Marschfähigen losgehen, ich gehe natürlich mit. Ich verabschiede mich noch von KunzePKuntze, Hauptmann, HüttnerPHüttner, Leutnant finde ich nicht. KuntzePKuntze, Hauptmann meint, ich solle warten, bis es ruhiger wird, da der Hohlweg und besonders unten die Kreuzungsstelle immer stark unter Feuer liegen. Doch ich will lieber weg. RadziejPRadziej, Leutnant besorgt mir einen Stahlhelm. Den halte ich über den Kopf und trabe mit langen Schritten den anderen nach, etwas den Hohlweg hinunter, dann rechts (östlich) in den Wald hinein. In ein paar Minuten sind wir 382 im HeringstunnelLHeringstunnel. 1‚80 hoch, 2 m breit, läuft er sehr tief hinein, soll drüben in der Nähe von ChevreuxLChevreux wieder Ausgang haben. Ein Bataillonsstab, viele Soldaten, hinten weit der Verbandsplatz. Dort finde ich Doktor BraunPBraun, Feldarzt (1/157). Er sagt mir, dass auf meinem Zettel steht: Streifschuss, und richtig entziffere ich das jetzt auch, während ich es vorher als „Infanterieschuss links“ gelesen hatte; in dieser dienstlichen Meldung wird der Arzt ja wohl nicht schwindeln! Er stärkt mich mit Kaffee und Butterbrot, ich erzähle viel von oben, bin sehr munter. Der Arzt dort meint, ich habe ja eine eiserne Natur. Gewiss, so leicht bin ich nicht totzukriegen. Später leg’ ich mich etwas hin, horche aber häufig auf, wenn Verwundete kommen, und lasse mir zuweilen kurz sagen, wie’s steht, wenn einer vom WinterbergLWinterberg kommt. Der Berg wird noch gehalten. Zeitweise ist draußen wieder heftiger Lärm, erst abends spät wird’s still, wenigstens oben auf dem Berg. Im Hintergelände immer noch Artilleriekämpfe. Etwa 12hmarschieren wir ab. Vorn 3 Tragbahren, dann ein langer Zug Leichtverwundeter. Im Ausgang des HeringstunnelsLHeringstunnel treffe ich noch SobaniaPSobania, Soldat, MüllerPMüller, Unteroffizier gehend. SchwellikPSchwellik, Soldat (1. MG‑Kompanie) liegend, und andere. Ich gehe meist mit Unteroffizier BresmannPBresmann, Unteroffizier (1/154) zusammen, der am 7. abends in unserem Unterstand war. Wir gehen 🕮 immer schmale Pfade quer durch den Wald, bekommen daher auch kein Feuer in die Nähe. Ich bin munter, habe keine Schmerzen. Nordwärts nach Tuilerie, gleich weiter nach AizellesLAizelles.OAizelles