74Tagebuch 15. XII. 1969 – 28. VIII. 1970 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag So 5. IV. 1970

Vormittags nochmal den Brief für Brooks durchgesehen; dann tippt H. ihn. – 10. 15 Abfahrt zu Kuhns’s. (Langer Spaziergang mit ihm. Viel Vogelgezwitscher. Er zeigt mir alles, wo Pauline manchmal spazieren geht: hinauf zum Mulholland, dann diesen nach Osten; dann auf den nächsten Bergrücken nach N, dann einen Pfad hinunter ins Tal, und wieder herauf zu ihrem Haus; vielleicht 40 Minuten. Nachher setzen wir zwei uns auf die Veranda, mit schönem Blick nach N über die Landschaft. Ich zeige ihm Gaifmans Brief. Ich sage, G. hat im Sinn eine abstrakte mathematische Struktur, analog zu Gruppentheorie oder Theorie; darum möchte er das Reichenbachaxiom nicht aufgeben. Im Gegensatz dazu, ich möchte eine reflektierte Theorie, nämlich für Bayesian Wahrscheinlichkeit, mit dem Sinne, die diese hat in Theorie für Entscheidungen; ich will dem Agenten nur Forscherrat geben, wie er seine pr-Werte bestimmen soll. Darum suche ich immer nach neuen Axiomen, die mir intuitiv plausibel erscheinen für diesen Begriff; darum bin ich froh, als Putnam mir Reichenbachs Axiom vorschlug; jedes zusätzliche Axiom ist von Vorteil. Ich zeige ihm das ms Blatt für Zusammenfassung § 6: Definition von „extensible, und R6-2: in einer Sprache mit endlicher Domäne ist ein C nur dann akzeptabel, wenn es ist extensible. Beim lunch erzählen wir von Mexiko; nachher zeigt H. die Farbfotos, die Chacha uns geschickt hat (die zeigen , das Töpfern bei Nena, die barbacea bei Anes, usw.)) – Nachmittags weiter an § 17, DM revidiert. – Abends finde ich ein altes Tagebuch von 1912, Freiburg (ich wohne zusammen mit Friedrich jetzt an der Währingerstr. Ich bin anscheinend eifersüchtig auf Friedrich, weil er öfter Briefe von Tilly bekommt als ich. Anscheinend schreibe ich ihr oft und ausführlich Briefe über all unsere Tätigkeit in der Freischar, und über meine Schwedisch-Lehrerin. Die Briefe drücken zwar keine starken Gefühle aus, aber durch ihre Häufigkeit und die große Freude über jeden Brief von ihr, wird doch klar, dass ich starke Gefühle hatte (ich bin ganz überrascht davon; das hatte ich 🕮 nicht mehr gewusst!).)