73Tagebuch 8. I. 1969 – 14. XII. 1969 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Sa 24. V. 1969

(H. bringt Erika um 8 zum LA City Coll. für Test, 12h geht sie zu Dr. Catz.) 10 – 12 Rob. S.Cohen bei mir (er ist in diesem quarter in San Diego jetzt mit Frau und Tochter im eigenen Auto hergekommen. Wohnt im Bel Air Sands Hotel, wo Sunset den S. D. Freeway kreuzt. Gestern Abend hat er in einer Synagoge gesprochen; ich frage, ob er religiös ist; er sagt nein, der Rabbi ist selbst ein Atheist, wie Fr. Aber er legt Wert darauf, dass seine Kinder im Bewusstsein ihrer Abstammung aufwachsen. Ich erzähle, dass Abe Kaplan nach Jerusalem will; er ist sehr erstaunt. Er steht auf dem Standpunkt von Buber, dass es ein Fehler war, Israel als jüdischen Staat zu begründen; es hätte von Anfang an ein jüdisch-arabischer Staat sein sollen. – Er zeigt mir das Inhaltsverzeichnis vom Neurath Buch; es enthält eine vollständige Bibliographie, und eine Reihe von Artikeln, die ursprünglich deutsch oder englisch waren. Es soll dann auch eine deutsche Ausgabe erscheinen. Über meinen Beitrag: Ich sage, ich habe keine Zeit jetzt, muss an Prob. arbeiten. Er schlägt vor : ein Vorwort; aber ich sage, das Vorwort muss von ihm und Marie geschrieben werden; ich könnte eine kurze „Introduction Note“ schreiben. Er hat im Kapitel „Memorial“ aus meiner Autobiographie zitiert; dies will er umschreiben in eine Note, und die kann ich dann nach Belieben ändern oder ergänzen. Damit bin ich einverstanden. – Er sagt, er hat uns mehrmals in Princeton🕮\(Chacha über Ferdinand)\ besucht; wir haben uns damals gegenseitig von unserer Analyse erzählt. Wir haben uns auch beim Stanford Kongress 1960 getroffen. – Er hat viel Reisen in den kommunistischen Ländern von Osteuropa gemacht und Leute besucht, auch in Ostdeutschland; in Jugoslawien hat er sich nahe befreundet mit Markovic und Petrovi\'c. M sei stark von meiner Philosophie beeinflusst, und dadurch auch andere Philosophen dort; dagegen sei P. unter dem Einfluss von Heidegger Schülern in Deutschland geraten, und jetzt ein marxistischer Existenzialist.) –Chacha liest mir vor aus ihrem Brief an Annemarie (über vieles Erfreuliche hier, aber auch Seltsames und weniger Erfreuliches? in Amerika. Über H und mich: manches erfreulich, manches auch anders; „aber die kennst Du ja selbst“.) – Abends mit H und Chacha (Chacha erklärt nochmal ihre Entrüstung über Sven und Gretes Stellung gegen Ferdinand, was ihr so leid tut, weil Ferdinand so schon Minderwertigkeitsgefühle hatte, und es für Annette so schwierig ist, zumal auch Annemarie zu ihr gegen Ferdinand gesprochen hat. Chacha wirft Grete vor, dass sie die Tatsachen entstellt, und stimmt Heini zu, dass Grete zuweilen „verrückt“ sei; Heini hat ihr auch gesagt, dass vor einigen Jahren, als Walters Geschäft zusammenbrach, Grete Falsches über ihn zu den Geschwistern gesagt hat, und Chacha glaubt das jetzt. Ich sage ihr: Ich habe damals auch die Darstellung von beiden Seiten gehört; wir Außenstehenden können da unmöglich entscheiden, wie die Fakten wirklich waren. Aber Chacha glaubt, sie wisse über damals und jetzt genau die objektiven Fakten. Auch z. B. über das antike Bild Götzenbild, das Chachas Mutter besaß und zuletzt an Heinis Tochter Gina gab; es sollte, wenn es mal verkauft würde, der Ertrag an die Geschwister verteilt werden. Heini hat ihr, als er zuletzt in Deutschland war, eine genaue schriftliche Aufstellung über dieses Ding? und vielleicht noch andere Sachen gegeben; daraufhin sagt Chacha: sie weiß jetzt genaue Fakten, wie sie wirklich waren, denn sie habe es jetzt „schwarz auf weiß“!)