74Tagebuch 15. XII. 1969 – 28. VIII. 1970 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 25. XII. 1969

Wir fahren nach Tule (da ist der große 2000-jährige Baum vor der Kirche; das haben wir am 21. gesehen, auf der Fahrt nach Mitla). Nena besucht 2 Familien von Indios und bringt ihnen Weihnachtspäckchen (vielleicht hat sie in jeder dieser Familien ein Patenkind), in einem extra Kabützchen in der Mitte vom Hof werden Tortillas gemacht und gebacken. Ein Mädchen klatscht einen Ball von Teig zwischen ihren flachen Händen, bis er ganz dünn ist, dann breitet sie ihn aus auf einer heißen Schüssel, die auf dem Feuer steht; wenn sie auf beiden Seiten gebacken sind, bekommen wir jeder ein Stück davon, ein wenig gesalzen. Sie haben auch eine große Ziegenherde. Bei der anderen Familie ist ein Sohn, der in Mex. arbeitet, für die Feiertage gekommen, und eine Tochter, die einen (vielleicht mexikanischen) Amerikaner geheiratet hat und in Oxnard wohnt; sie spricht auch Englisch; H. gibt ihr unsere Adresse und phone number, sie soll uns mal in LA besuchen; sie ist hübsch und intelligent. H. und E. sind begeistert von den Indianern und ihrer ganz natürlichen Freundlichkeit und Wärme. – Nachmittags Irmgard Groth4vielleicht Irmgard Groth-Kimball?, Fotografin in Mexiko, hier. Ich sitze mir ihr auf der Veranda. Sie erzählt von der Kriegszeit, wo die Deutschen 🕮\am Feiertage die San Felipe Straße hoch hinauf, und dann gewandert!\ in Mexiko, das auch Krieg an Deutschland erklärt hatte, mit Misstrauen angesehen wurden. Ich sage, dass das in USA nicht der Fall war; allerdings hatte ich tschechische Staatsbürgerschaft, aber auch die Deutschen wurden gut behandelt; die Tatsache, dass sie herkamen, zeigte, dass sie gegen das Regime sind. Sie ist Fotografin für eine archäologisch-ethnographische Kommission; die Bilder werden dann in ihren gedruckt. Sie ist schon in vielen Ländern gereist, auch in den Tropen. – Abends nochmal die Mozart Platte (heute kann ich sie schon ruhig anhören; gestern musste ich mich bemühen, die Tränen zurückzuhalten, weil es mich so sehr an die Zeit der langsamen Befreiung in Princeton erinnerte.) Nena zeigt uns auch Fotoalbums aus allen Jahren ihres Lebens, dabei auch von unserer Besteigung des Ajusco. Ich danke Nena für den schönen Weihnachtstag, beginnend und endend mit der schönen Mozartmusik, und mit schönen Eindrücken; sie küsst mich auf den Mund.)