74Tagebuch 15. XII. 1969 – 28. VIII. 1970 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Di 23. XII. 1969

Vormittags sitze ich auf der Terrasse und schreibe am Tisch; Rücken und Hinterkopf in der Sonne, das Papier im Schatten. Einen Brief an Mia; und Tagebuch. – 4 ½ beim Tee (mit Nena, die anderen sind schon in die Stadt, ein junges Schweizer Ehepaar Huber2vermutlich Carlo Huber (1932-1976) und seine Frau aus Basel, mit kleiner Tochter; er ist Direktor der Kunsthalle in Basel; es dehnt sich etwas lange aus. – Nachher mit Nena in die Stadt; wir treffen die anderen am Zocalo. Ich sitze mit Chacha an einem Tisch, auf harten, unbequemen Stühlen. Inzwischen gehe ich mal mit Chacha auf die S Seite des Zocalos; da haben Indios aus verschiedenen Dörfern ihre rabanos Künste ausgestellt; manchmal die Heilige Familie, oder sonstiges Religiöses, oder Tiere und Pflanzen, seltsame Ungetüme; alles ist aus Rettichen geschnitzt3Noche de Rábanos: https://en.wikipedia.org/wiki/Night_of_the_Radishes, oft sehr geschickt, und manchmal geschmackvoll; das ist ein Wettbewerb, aber nur die 3 besten bekommen einen Preis. Zurück an den Tisch; immer mehr Leute kommen auf den Platz und gehen ringsherum, um Freunde zu begrüßen; viele begrüßen uns (dabei auch Frau Lange; Aimes und Frau, die ich zum ersten Mal sehe; Chacha und Frau A. umarmen und küssen sich; ich bin erstaunt, dass sie beide noch ziemlich jung sind, ich hatte unwillkürlich eine würdige, retirierte Professorgestalt mir vorgestellt; auch der Weber, den wir kürzlich besucht haben, kommt vorbei und grüßt mit der Hand; er hat eine Menge über der Schulter; nachher sitze ich mit Nena am Tisch, und andere gehen, um noch Anderes anzuschauen; ein junges französisches Ehepaar kommt und begrüsst Nena und bleibt sitzen, sie können nur französisch sprechen und fragen anscheinend Nena nach Auskunft und Rat; bei dem großen Lärm herum (auch immer die Musikkapelle zwischendurch) kann ich nichts verstehen, und das macht mich noch mehr müde. Endlich kommen alle wieder zusammen; aber wir fahren noch nicht heim, wie ich in meiner Müdigkeit gedacht hatte, sondern gehen noch an die nächste Ecke (NW) des Z., und sie essen dort Waffeln auf 🕮 bestimmten Tellern, die man nachher mit lautem Gekrache auf den Steinboden wirft, was besonders der E. viel Spass macht. Endlich zurück zum Auto, und ca 8h zu Hause. (Zwischendurch hatten die anderen noch eine Posada oder so etwas bei der Kirche mitangesehen, was aber anscheinend nicht sehr lohnend war. –H. kommt mit mir und sorgt für alles; der sage ich, Ich sage beim Abendessen‚ dass das Ganze mich übermässig ermüdet hat; und ich bitte, mich künftig immer über das ganze geplante Programm zu informieren („mir sagt keiner was“), damit ich planen kann, ob oder wieviel davon ich mitmache. Sie rät mir, noch tief atmen zu machen, und Entspannung. Nachher kommt auch Chacha noch zu mir und sagt, sie sei anfangs auch oft übermüdet gewesen; und ich soll die Ängste fahren lassen und mich still versenken; dann kommt unerwartet äußere Hilfe, wie beim Beten. Ich sage ihr: „Hilfe von den guten Geistern“? Sie sagt, ich soll das nicht verlachen; die guten Geister sind um uns (sie denkt wohl an Broder) und können viel Hilfe geben; ich sage: ja, wenn man daran glaubt, so wie die Indios ja auch viel äußere Hilfe bekommen von Maria und San Felipe, und San Domingo und vielen anderen. Sie sagt: Du bist ein Spötter; aber versuche es nur mal. Sie ist rührend in ihrer Fürsorge und Willen zu helfen; und ich verspreche ihr, auch Gymnastik und Atmen und Entspannen zu tun. Das tue ich auch, aber nur im Bett liegend. Und dann schlafe ich gut.