73Tagebuch 8. I. 1969 – 14. XII. 1969 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 21. XI. 1969

11 – 2¾B. E.McGuiness hier. (Er wird hergebracht von jemandem in Irvine, wo er einen Vortrag gehalten hat; an UCLA gibt er heute nachmittag einen Vortrag „Desire & feeling“, David Kaplan sagt, er denkt, das ist Philosophie of the mind, mehr philosophische Psychologie als eigentliche Psychologie.) (Er ist Prof. an U. Wash. in Seattle, aber in England nicht Professor. Er hat sich sehr mit Wittgenstein beschäftigt, kennt dessen Familie gut, hat mit Kraft, Juhos, Neider gesprochen, und auch mit Freunden von Wittgenstein. Er fragt vieles über Wien; ich erzähle von zwei Besuchen von Wittgenstein bei mir auf dem Schafberg: einen mit Schlick zusammen, wo ich den Brief an Ramsey tippte, über Identität; und einen mit Waismann und Feigl, wo Wittg. sich auf den Boden setzte und ich dazu, wo er Entsetzen äußerte über spiritistische Seancen, wie Hahn sie benutzte und ich interessiert war; ich sage: Mir schien sein Einwand, dass die Äusserungen der Medien trivial und kühl sind, so gar nicht unsere Absicht mit den Seancen-Treffen. Ich erzähle ihm auch vom Brief Wittg. über meinen Aufsatz „Physikalische Sprache“; ich war entsetzt über den abscheulichen Ton seines Briefes und Schlick war traurig darüber. Ich hatte ursprünglich Schlicks und Wittg. Namen am Anfang des ms genannt; als aber nach meinem Vortrag im Kreis heftige Einwände von Waismann und Schlick gemacht wurden, vom Gesichtspunkt Wittg. aus, dachte ich, meine Ansicht weicht also doch stark von W. und Schlick ab, und strich die Referenz auf beide aus. Ich sage, dass Wg. Brief mir über Schlick gab; ich hatte ihn auch als Charakter hoch geschätzt; jetzt schien er mir kleinlich; Waismann in Princeton erzählte von Wittg. „sie sollten schon wissen, dass ich eitel bin, und sich danach richten“. Dann erzähle ich aber auch von der Zeit, wie ich krank im Hotel in Wien lag, und Waismann mir berichtete, dass er Wittg. getroffen habe, und dieser gefragt habe, ob er mir helfen könnte. –M. fragt, wodurch ich den Eindruck von innerem Konflikt in Wittgenstein hatte. Ich: Nicht nur einfach, weil ich beobachtete, dass er über die Metaphysik und das Mystische keine eindeutige Haltung hatte, sondern ambivalent war. Und dann vor allem die Tatsache, dass er so angespannt war, gar nicht ruhig und relaxed, wie Schlick und ich, auch wenn wir verschiedene Meinungen vertraten. Ich erzähle von meiner Psychotherapie, und dass ich Waismann empfahl, dies auch in Wien zu tun; er war in Princeton. Aus solchen analytischen Ideen dachte ich, dass Wittg. vielleicht einen Konflikt mit Vater oder Brüdern hatte. – Mittags kommt Savage und nimmt noch am eiligen lunch mit teil. Ich sage ihm, dass ich einige seiner Vorschläge im Senat sehr gut fand. Wir sprechen über Angela Davis. Ich sage, dass ich sie auch gern sehen wollte, aber David Kaplan sagte mir, sie hat absolut keine Zeit. 🕮– Wir sprechen über Linksbewegung von Studenten und Fakultät. Ich sage, ich bin froh darüber; in früheren Jahren war das gar nicht so. Als ich noch im department war, war ich der einzige Sozialist; Savage sagt: Das würde ich auch heute noch beinahe sein; ich erkläre das Argument von der Monarchie im Gebiet der Naturwissenschaft. Er sagt: Das ist ein gutes Argument. Er sagt: Er kann die russische Regierung nicht bejahen, wohl aber Kuba. Ich sage, ich meine mit Sozialismus nicht, dass Eigentum abgeschafft wird, sondern das Eigentum an den Produktionsmitteln. – Sie gehen fort um 2:45; um 3h ist schon der Vortrag!)