70Tagebuch 1. I. 1966 – 5. I. 1967 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 20. V. 1966

12 – 1 ½Vortrag Felix Greene (mit Frau Jokl, im großen ballroom von Students’ Union. Zuerst über die Beziehung von US zu China und Vietnam; dann über den Vietnamkrieg. Danach Bilder aus Nordvietnam. Er spricht sympathisch, ruhig und klar; gibt ausgezeichnete Erklärung der Gesamtsituation: Amerika will überall auf der Welt seine ökonomisch-militärische Dominanz aufrecht erhalten; genau wie früher die britischen und französischen empires, nur jetzt mit fast mächtigeren Mitteln an Geld und Waffen. Er betont immer das Wesentliche: Wie geht es den einfachen Leuten in einem Lande. Er hat eingehend mit 🕮Ho Chi-Minh gesprochen, und zeigt Bilder, wo beide mit einander sprechen. Bilder zeigen, wie viele Wohnhäuser in Vietnam zerstört sind; aber auch, wie überall die Kinder noch fröhlich spielen. Er erklärt, dass die große Basen von US in S Vietnam viel zu riesig sind, und daher offenkundig für dauernde Besetzung gemeint sind. Er glaubt, Amerika kann in Vietnam keinen militärischen Sieg gewinnen, auch wenn sie die Truppen noch so sehr vermehren, weil in Vietnam und auch in Amerika immer mehr Leute gegen den Krieg sind; und weil schließlich, wenn Niederlage drohen würde, China große Truppenmengen hineinschicken würde, wie in Korea. Er glaubt‚ sagt, dass die Führer in China zuversichtlich sind in Bezug auf den Ausgang eines Krieges mit Amerika, weil das Land so ausgedehnt ist. Er hält es für sehr unwahrscheinlich, dass Amerika dabei Atombomben verwenden würde, weil das sicherlich eine feindliche Haltung in Japan bewirken würde, und Amerika auf keinen Fall Japan als Verbündeten verlieren will. (Es tut gut, solche zuversichtliche Einstellung zu hören; aber ich bin doch zweifelhaft, weil gerade die amerikanische Regierung doch leicht auch unvernünftige und sie selbst schädigende Schritte unternimmt.)) Ich gehe noch schnell ins department, Post holen. – Nachmittags angefangen, Tintners ms zu lesen (dies ist die zweite Version, geschrieben aufgrund von meinen (und Morris’) kritischen Bemerkungen letzten Oktober. Ich bin sehr enttäuscht. Ich hatte viele Stellen angegeben, und spezifische Kritik gemacht, und oft Änderungsvorschläge; vieles davon hat er überhaupt nicht berücksichtigt, und oft unzulänglich geändert.)