RUDOLF CARNAP. Tagebücher und Leselisten. 1908–1919 |
Kalish kommt kurz für Frühstück (er erzählt von einer Gerichtsverhandlung, die er kürzlich besucht hat; wo ein Richter einen Neger jungen Mann, vielleicht 22 Jahre, verurteilt hat, weil er im Zuhörerraum voriges Jahr, wo der Polizeimann Angeklagter war, der einen Neger im Auto erschossen hatte, Literatur verteilt hat, dass die ganze Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung radikal geändert werden müsste; der Richter tat es aufgrund eines Gesetzes von 1922 gegen „Syndikalismus“, das seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet worden ist; der Richter behauptete, jetzt in California sei „klare und gegenwärtige Gefahr“, dass durch solche Literatur Unruhen entstehen würden. Kalish ist entsetzt über diese Ungerechtigkeit, wo das Gesetz doch klar unconstitutional ist. Er sagt, zunächst war er nur an dem Vietnamkrieg interessiert; aber immer mehr sieht er, dass das mit anderen Ungerechtigkeiten in der heutigen Gesellschaft zusammenhängt; darum ist er jetzt auch an der Negerfrage so interessiert. Ich frage ihn nochmal über Mates; er sagt, dieser ist für den Krieg, weil er meint, „Kommunismus müsse um jeden Preis ausgerottet werden“. Ich sage, das ist die Haltung, die früher zum Religionskrieg führte; er sagt: das ist wie Hitler gegen die Juden, weil die wollten „take over“. Ich: Das sagte er doch nicht von den Juden, die nur „die Kultur vergiften“ und „geschäftlichen Betrug“ machten, sondern über die Kommunisten. Ich: Dann glaube ich nicht, dass Mates wirklich früher ein Liberaler war.) (Nachdem sie fort sind, hatte ich das Gefühl: Vielleicht hätte ich doch mit ihnen gehen sollen; Kalish ist so lebhaft interessiert an allem. Da hätte ich so auch noch mit ihm mehr sprechen können.) [Hanneli, Mia und Kalish, aber ohne mich, gehen zum Bootstrap, meeting mit Leuten vom Center f. Democ. Inst. in S. B.