70Tagebuch 1. I. 1966 – 5. I. 1967 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Sa 19. XI. 1966

11 – 3 (!) Kalish und Mates hier. (Mates hat gestern Vortrag über „Sense data“ gehalten. Ich sage, ich sehe Schwierigkeit mit phänomenaler Sprache. Aber er sagt, philosophisch müssen wir doch annehmen, wie Berkeley gesagt hat, dass alle empirische Erkenntnis zurückgeht auf das, was „unmittelbar gegeben“ ist. Er ist darum besonders interessiert an meinem „Logischen Aufbau“. Er fragt, wie ich heute darüber denke; ich sage, ich würde den Aufbau heute auf physikalistischer Basis machen; verweisepOriginal er verweist. auf den Schilppband für nähere Erklärungen. – Ich frage, ob er auch so stark gegen den Vietnamkrieg ist, wie Kalish und andere Philosophen und ich auch. Er sagt: Nein; er ist in Berkeley im Philosophie department eine minority of One. Er ist anscheinend so entschieden antikommunistisch, dass 🕮 er dem Präsidenten alles glaubt: kein Bürgerkrieg, sondern eine Invasion vom Norden; die armen Vietnamesen möchten befreit werden von der kommunistischen Unterdrückung und dem Terror; wenn wir aus Vietnam fortgehen, würden wir sie einer blutigen Unterdrückung ausliefern! Kalish macht ihm ausführlich klar, dass die Vietnamesen vor allem den Krieg aufhören wollen, den sie so viele Jahre hatten; er meint, das Abstimmungsergebnis ist im ganzen echt, und die assembly wird eine demokratische Konstitution machen, und Ky wird die akzeptieren. Die NLF ist nur ein Werkzeug von Hanoi, usw. Auch in Europa glaubt er, die Russen würden ganz Europa besetzt haben, wenn die Amerikaner nicht gerettet hätten. Er sagt, Tarski habe ihm die Augen geöffnet über die Rolle der Russen in Europa! Dabei ist er freundlich, und hört auch uns an, besonders Kalish spricht sehr ausführlich; noch weiter, als wir mit dem Essen fertig sind, und ich schon müde werde; so geht das Gespräch bis 3h Uhr. Dann sage ich, er möchte entschuldigen, ich muss mich hinlegen. – Ich glaube, Kalish führte das Gespräch länger als wirkungsvoll war; oder ob es doch einen gewissen Einfluss auf ihn macht? Ich dachte hinterher an Bridgman, der auch so zwiegespalten war: gegen die Kirche, aber politisch konservativ. – Ich sage ihm beim Abschied, wenn er wieder nach LA kommt, soll er anrufen! Er sprach auch verständig über seinen Eindruck von den Menschen in Deutschland. Er meint, dass Peter Krauss zu dem armen Negercollege gegangen ist, um sozusagen Wiedergutmachung zu machen für das was Deutschland, ohne seine Schuld, in der Rassenfrage gesündigt hat. Ich dachte mir zuweilen, dass Hanneli vielleicht auch von ähnlichen unbewussten Gefühlen motiviert ist.) 🕮\David\