69Tagebuch 31. XII. 1964 – 31. XII. 1965 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 23. VII. 1965

(Gebadet, während Maue Besorgungen macht.) Geschrieben. – Mit Maue gesprochen. (Ich mache mir während des Gespräches klar, mit großem Bedauern und einem Gefühl von Resignation, dass ich erleichtert bin darüber, dass ich bald fortkomme. Die letzten 3 Tage waren aber viel besser als die ersten zwei, wo sie mich ganz totredete und ich nicht zu Wort kam; letzthin habe ich doch allerhand erzählt, besonders auch über Gittli und ihre Kinder, und etwas über Gerhard und Bärbel. Nach den ersten 2 Tagen war ich total erledigt, weil Maue mich totredete. Dann habe ich etwas energischer versucht, zu Wort zu kommen. Ich überlege, was trotzdem so störend war, obwohl sie sehr liebevoll mich pflegte und verwöhnte; ich glaube, es hat zu tun mit ihrer Intoleranz und Dominierungsantrieb; sie wurde jedesmal ganz zornig, wenn ich jemanden verteidigte gegen ihre oft etwas willkürlichen oder unfairen Anklagen; sie selber brachte vor, dass Gerhard wie ich immer verteidigen wolle, und dass das doch unerträglich sei; sie erzählt auch, wie sie zuweilen ihren Mietern Vorhaltungen mache, wenn die ihre Dinge nicht in Ordnung halten oder nicht genügend ihre Hilfe würdigen. – Nachmittags wollte ich ca 4h in Stockdorf sein; aber beim Tee nach 3h ließ sie mich gar nicht los; ich dachte daran, dass sie ja wohl jetzt meist einsam ist und Bedürfnis nach Menschen hat. – Ich gebe ihr: 100 für ein besonderes Geschenk, sie weiß jetzt noch nicht, was; 20 für Telefon, 🕮\nach Stockdorf\ und 10 für Medizin; mehrere Medizin gingen aber auf ihren Namen und werden daher zu 80 % von der Krankenkasse erstattet.) – 4 ½ im Taxi nach Stockdorf.OStockdorf Da ist es auch kühl und regnerisch; aber wir sitzen auf der Veranda (ich erzähle Chacha, besonders von Berlin. Auch über meine zwiespältigen Gefühle über die Sprechweise von Johannes in der Abendandacht: So theologisch-biblische Wendungen, das müsse doch für die Leute ziemlich fremd sein; sie meint aber: Die, die dahin kommen, wünschen vielleicht so eine Sprache. Ich erzähle, dass Sabine sich selbst Vorwürfe macht, dass sie und die anderen Geschwister immer Werner Thost so kritisiert haben; das habe vielleicht die Beziehung zwischen beiden gestört.) –Telefoniert mit Hanneli (der Konsul hat gesagt, dass Besuchervisum für Erika Schwierigkeiten macht, wegen Schulpflicht; Immigrationsvisum ist einfach und schneller zu bekommen! Ich sage: Dann wollen wir das doch gleich versuchen! Das freut sie.) Beim Abendbrot sind Christoph und Lini dabei und noch etwas danach wird gesprochen über meinen Vortrag am Tag vorher. Christoph hat noch allerhand Fragen über credibility, und über Unterschied zwischen psychologisch und normativ und dergleichen. – Zum Gutenachtsagen sage ich Chacha: Es ist schön, wieder in Stockdorf zu sein. (Nachher im dunkeln grüble ich noch darüber nach: Warum fühle ich mich hier wohler und entspannter als in München ? Vielleicht ist es, weil hier die Atmosphäre gelassener ist; es gibt keine Ausbrüche von Zorn oder Gekränktheit, wovor ich bei Maue immer auf der Hut sein muss. Am nächsten Tag sagt Maue mir telefonisch: Sie hat mit Gittli telefoniert, und die hat gesagt: Mit Nappi ist gut diskutieren, da braucht man nie zu fürchten, dass ihm etwas, was man sagt, in der Kehle stecken bleibt. Sie würde so wünschen, noch mehr zu diskutieren mit mir. 🕮