69Tagebuch 31. XII. 1964 – 31. XII. 1965 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mi 10. II. 1965

10:45 zu Dr. Seiff (auch Sehfeldtest; war anscheinend variabel; in 2 Monaten wiederkommen.) – Zu Campbells Stationary (allerhand gekauft). – 3 ½ – 6 Mrs. Sobel (zum Tippen, zum ersten Mal. Sie ist hochschwanger, aber ganz munter. Sie tippt Briefe, die ich auf tape recorder diktiert habe.) – Abends mit Hanneli persönliches besprochen. (Ich sage, wie schön es ist, dass sie so leicht Kontakt mit Menschen findet, und alle mögen sie gern. Sie sagt, es schwankt bei ihr sehr zwischen Selbstvertrauen und Verzagtheit, seit Kindheit schon; auch mit der Mama. Und wenn sie nicht soviel Liebe und Zärtlichkeit bekam, wie sie wünschte, tadelte sie immer sich selbst und dachte: Mich kann doch keiner lieb haben. Ich sage ihr, dass die Menschen sie lieb haben, weil sie natürlich und unmittelbar reagiert. Sie sagt, aber doch kommen oft 🕮 Hemmungen und Minderwertigkeitsgefühle; sie habe schon gedacht, ob sie vielleicht in Deutschland im Sommer noch mehr Psychotherapie nehmen sollte, weil es dort nicht so teuer ist wie hier. Ich sage, das ist eine gute Idee.) – Abends gegen Mitternacht lese ich in Newsweek, dass Präsident Johnson einen Bombenangriff auf Nordvietnam befohlen hat, gerade zur Zeit als der neue russische Regierungschef Kosygin dort war und ihnen Hilfe versprach, wenn sie angegriffen würden. (Nachts werde ich dann gegen 2h wach und kann nicht mehr einschlafen, und bekomme Übersäuerung im Magen. Ich hole mir Milch, lese harmlose Sachen, und nehme noch ½ Noludar9in den 60er Jahren beliebtes Beruhigungsmittel vgl. Methyprylon – Wikipedia.)