69Tagebuch 31. XII. 1964 – 31. XII. 1965 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Di 2. XI. 1965

Weiter an Rudner (er scheint ganz intelligent und gescheit, ist aber sehr an Goodman gebunden. Ich lese noch allerhand von ihm und mache dann Notizen für Gutachten.) – 1 ½ zu Dr. Brann (er arbeitet 40 Minuten an 2 (oder vielleicht 3?) Silberfüllungen.) Nachmittags GesuchNSF Gesuch von Robert Barrett angefangen. – Abends, während ich am Schreibtisch sitze, telefoniert Richard Montague eine ganze Stunde. 🕮 Er beklagt sich bitter über Don Kalish. Der hat mir neulich telefonisch gesagt, dass Richard mehrere jüngere Kollegen, die gegen ihn im department meeting gestimmt hatten, bedroht habe‚ er werde es ihnen heimzahlen; und nun habe Kalish die full Professoren, ausser Yost und Moody, die dies Semester nicht aktiv sind, aber in LA sind, zu einer Sitzung zusammengerufen, und sie haben beschlossen, einen Brief an Dean usw. zu schicken, damit es auf record ist, dass Montague emotional unstetig ist, sodass spätere Schritte, die er gegen Kollegen machen könnte, vorgebeugt werden. Er gibt zu, dass er oft Zornausbrüche hat in meetings. Aber er habe nie gegen andere eine Ungerechtigkeit begangen. Er glaubte, dass das Ganze eine unbewusste Rache von Kalish ist, weil er Montagues Überlegenheit erkennt. Ich sage ihm, das glaube ich auf keinen Fall. Kalish hat mir Andeutungen gemacht, er wollte verhindern, dass die jüngeren Kollegen sich Sorgen machen würden, ob ihre Karriere gefährdet würde, wenn sie gegen Montague stimmen. – Er wird nächstes Semester nach Amsterdam gehen, als visiting professor. Ich frage, ob erqOriginal es nicht vielleicht für ihn., wenn er wirklich fürchtet, dass man es ihm hier unmöglich machen wolle, nicht lieber fortgehen wollte. Er sagt, Amsterdam habe ihm ein Angebot gemacht, und Berkeley würde ihn sicher auch nehmen. Aber hier habe er doch ein Haus gekauft, und nun seien seine Eltern hierher gezogen, um nahe bei ihm zu sein; sein Vater sei schon nahe an 80, und die könnten nicht nochmal umziehen. Außerdem sei es eine Demütigung für ihn, wenn man ihn hinausdrängen würde. Ich sage, es ist gut, dass er ein Semester woanders ist; da kann er sich die Dinge ruhig überlegen; solche Dinge wie Prestige oder „Demütigung“ sind unwesentlich; wesentlich ist, dass man so lebt, wie es für einen selbst 🕮 Befriedigung gibt. Er entschuldigt sich, dass er mir so viel Zeit genommen habe; ich sage, es war gut für ihn, sich auszusprechen, er könne auch immer anrufen oder herkommen, wenn er es brauche. – Vorher sage ich mal, ob er nicht zu einem Analytiker gehen wolle; mir habe das sehr geholfen; er sagt aber, er habe es in Berkeley eine Zeit lang getan, aber es helfe doch nicht auf die Dauer.)