62Tagebuch 30. XII. 1959 – 24. XII. 1960 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mi 12. X. 1960

2 zu Dr. Mott. (Über Inas Aufregung heute Mittag weil Bohnert ein Buch holen wollte und nicht zur Zeit kam. Sie wollte ihn nicht zum Lunch haben. Sie ist so leicht irritiert; auch Sovor der Party; auf der Party selbst war alles gut und nett. Er: Anscheinend ist etwas aufgestört in Inas Analyse; vielleicht ist sie 🕮 zornig auf Dr. Pastrom. Ich: Ja, heute Morgen, als sie zurückkam, erzählte sie, dass sie ihm gesagt hätte „to hell“ usw. Er: Sie scheint eine Angst zu haben; auch in Stanford. Ich: wieso Angst; ich habe bemerkt nur, dass sie zornig oder ärgerlich ist oder abweisend zu Leuten. Er: Es muss für sie eine ganz neue Erfahrung gewesen sein, dass ich in Stanford so unabhängig war, zu Leuten ging, vortrug usw.; das ist beunruhigend. Ich: Wie eine Mutter, deren Kind nicht mehr am Schürzenband hängt. Er: Ina hat anscheinend eine unbewusste Angst, Menschen zu verlieren; das ist vielleicht der Grund dafür, dass sie immer vermeidet, in nähere Beziehung zu Menschen zu kommen. – Das Ganze war mir neu und aufschlussreich, weil ich zum ersten Mal Zusammenhänge sah zwischen Dingen, die ich mir vorher nicht erklären konnte, z.B. Inas Reaktion in Stanford.) Ich bringe Ina Blumen, zum ersten Mal seit langem; aber sie sind etwas zerdrückt. Ich erzähle Ina etwas von Dr. Mott, will aber nicht seine Interpretation sagen. – Abends kommt Ina in mein Bett. Wir wollen ein TV Stück sehen, aber es taugt nicht viel. Wir bleiben zusammen und sprechen. (Ich erkläre ihr dann doch alles von Dr. Mott, so gut ich kann. Sie meint, das ist gar nicht neu, und auch nicht überzeugend. Aber ich sage, es ist doch zum ersten Mal eine Erklärung; darum akzeptiere ich es, solange ich keine bessere sehe. Sie ist froh, dass ich lange und ausführlich mit ihr spreche.)