60Tagebuch 1. I. 1957 – 4. III. 1959 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 8. IX. 1958

Am Reply – 12h zu Dr. Mott (zum ersten Mal nach seinen 2 Wochen Ferien. Ich berichte: hektische Wochen, Schilpp ms immer noch nicht fertig; Ferien Jeffrey jetzt hier für 10 Tage; dazwischen auch andere Leute; aber es geht mir meist gut. – Über das Glaucoma. Die Fehlleistung mit dem Schlüssel verlieren. – Er: All die Vorsichtsmaßregeln helfen nichts, wenn das Unbewußte nicht will. Ich: oft nicht, zuweilen doch. Heute mit Scheck hatte ich Vorsichtsmaßregeln. Im Kalender für heute stand „Scheck“; heute früh geschrieben und in Kalender gelegt; dann nochmal überlegt, als ich im Wartezimmer saß; ich wollte ihn nicht in die Hand nehmen; darum so im Kalender, der in der Hemdtasche ist, dass er herausragt, damit ich ihn leicht nehmen konnte, als ich hereinkam. Er: Und dann habe ich ihn ihm gegeben? Ich: natürlich. Ich sah nach, da war er noch in der Tasche! Ich hatte mir so deutlich vorgestellt, wie ich ihn ihm gebe, dass diese Vorstellung mir jetzt zurückkam, als hätte ich ihn gegeben! – Er: Es scheint mir gut zu gehen. Ich: ja; ich bin besonders froh, wie gut ich mit Schreckensmitteilung vom Glaucoma fertig werden konnte. Er: Ja, er ist auch froh; ; vielleicht möchte ich jetzt unabhängiger von ihm werden; wenn ich es mal beende, werden wir es so machen, dass ich jederzeit mal wieder zu ihm kommen kann, da er immer einige Stunden frei hat für consultation. Ich: Ja, das macht es leichter; meint er, gleich jetzt? Er: nein; vielleicht nachdem das Semester angefangen hat, etwa Ende des Monats. Ich: Der Gedanke ist mir jetzt nicht so abschreckend, wie früher als wir mal darüber sprachen; vielleicht wäre das wirklich gut.) Ich fahre zurück in guter Stimmung. – 3:30 Jeffrey und Ruth Anna. (Er möchte heute über erkenntnistheoretische Fragen sprechen; das ist wirklich, was ihn hauptsächlich interessiert; seine These war ein Versuch, die zu klären. Er erklärt die Grundidee der These: Änderung von Glaubensfunktionen. Ich: Aber es scheint mir, die Änderung ist relativ zu einem besonderen Satz; bei Wahl eines anderen Satzes ist das Resultat verschieden. Ich 🕮 gebe Beispiel, und er gibt es zu. Er nennt das Gebiet Pragmatik. Ich: Aber er will doch herausfinden, was rational ist; dann ist es nicht mehr einfach empirische Psychologie. Er: Gewiss nicht, es ist Erkenntnistheorie. Ich: Wenn er Rationalität von Glaubensfunktionen beurteilen will, so scheint mir, muss er Kredibilität mit hinein nehmen. Die ist durch die Glaubensfunktion nicht gegeben; aber ein Mann ist nicht rational, wenn er keine Cred Funktion hat, und wenn diese nicht gewisse Axiome erfüllt und er will nur die Axiome der Regularität. Ich: Aber eine Cred Funktion, die die Forderung der Symmetrie nicht erfüllt, ist nicht rational. –Ruth Anna stellt Fragen über Ramsey Satz; sie möchte lieber typologische Sprache nehmen, und sie weiß nicht, wie man das machen soll, da sie wie Tarski, ‚\(\varepsilon{}\)‘ nicht als logische Konstante nehmen will. Ich: Da ist keine Schwierigkeit; ‚\(\varepsilon{}\)‘ ist doch mathematisch konstant, oder höhere Logik, jedenfalls nicht deskriptiv; bei der Ramsey Methode werden nur die deskriptiven Konstanten durch Variablen ersetzt. Sie sagt, das hört und sie will das verwenden in einem neuen Kapitel für ihre These. Kalish verlangt Weiteres; sie hat einen Monat daran gearbeitet, ist halb durch. Sie spricht auch beim Essen über Reichenbach und mich; unsere Philosophien folgen aus unserer Einstellung zum Leben. Reichenbach liebt das Leben und die Chance; darum betont er immer die Unsicherheit. Das tue ich auch zuweilen, z.B. in der letzten Stunde des Seminars; aber im8Original ich. Grunde verlange ich nach Sicherheit; und das bestimmt meine Philosophie. Daher schreibe ich klarer, ohne metaphor; Reichenbach ist oft so schwer zu übersetzen, weil nicht klar ist, was er genau gemeint hat.) Wir sitzen nachmittags und abends im Patio; beim Abendessen sitze ich auf geradem Stuhl, über eine Stunde. Ich bin froh, dass ich es allein gut kann, ohne zu müde zu werden.