59Tagebuch 30. VIII. 1954 – 31. XII. 1956 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mi 27. VI. 1956

Ina In der Frühe kommt Ina zu mir: Marni ist tot (sie hat sie heute früh um 6 gefunden, noch warm: sie hat einen Überzug über sie gezogen, zum Schutz vor Fliegen.) Ina ist sehr traurig; sie muss aber um 9 zu Dr. Preston. – 12-1 bei Dr. Kupper (zum ersten Mal seit Dez. Damals sagte er, nach 6 Monaten ihm berichten. Ich sage: Bis März ging es gut; wenn Tenseness oder Ängstlichkeit kam, konnte ich es selbst managen. Ich war froh und stolz, unabhängig zu sein. Umso mehr enttäuscht, dass es später nicht mehr so gut ging, vielleicht Beunruhigung durch Einzug ins neue Haus; im Mai Konferenz, vorher besorgt, aber es ging sehr gut. Dann mein Geburtstag, Gedanken ans Älterwerden. Ina ging es oft nicht gut; leicht erregbar, viel Mühe und Meinungsverschiedenheiten mit Büchern usw., zuweilen ist sie enttäuscht über ihre Analyse; sie ist geknickt, dass sie nicht Job finden konnte. – Er sagt: eine Möglichkeit wäre, intensive Analyse zu machen; um in meinem Alter noch tiefsitzende Haltungen zu ändern, ist längere Dauer nötig, mindestens 1 ½ oder 2 Jahre, vielleicht 3 oder 4 mal wöchentlich. Auf meine Frage sagt er: kleine Behandlungsdauer, etwa einige Monate, hat nicht viel Zweck; wenn nicht die intensive, so wäre es besser, allein durchzukommen, wenn ich könnte. Für die intensive hätte er selbst aber nicht Zeit; wenn ich mich doch entschlösse, sollte ich ihn anrufen, und er würde es dann mit einem anderen vermitteln. Er spricht auch mal so: wenn ich den courage hätte für die intensive. Ich sage: es ist nicht ein Problem von c.; sondern ich zögere, da hineinzugehen, wenn es nicht nötig ist. Ich frage auch, ob er an meiner Stelle es tun würde. Er: Das kann er nicht sagen, das würde von vielen Umständen abhängen. Ich solle es nur tun, wenn ich hinreichend starke Motivierung dazu fühlte, denn das sei auch Voraussetzung des Erfolges. Ich sage: Augenblicklich scheint es mir unwahrscheinlich; ich will jedenfalls zunächst mal allein versuchen. Er: Für infrequente Meetings, wenn ich in besonderen Fällen es brauche, 🕮 ist er gerne bereit. Er sagt vorher mal: mit Rücksicht auf mein Alter sei es amazing, wie viel Erfolg ich durch die Analyse in Princeton und hier gehabt habe.) – Nachmittags alte Tagebücher usw. sortiert. – Wir besehen zusammen alte Fotos (darunter die von Ina, gemacht von Trude Fleischmann in Wien und NY 1939; sie ist sehr schön, aber meist schwermütig. Auch schöne Fotos von Marni, auch große, gemacht von Frank Cundall in Chicago.) – Ina bemüht sich sehr, „sich zu kontrollieren“ und nicht zu weinen; ich sage, sie soll es nicht unterdrücken, es tut ihr gut, und wir teilen unsere Betrübnis mit einander. – Ich bin tense und etwas ängstlich, besonders abends; stehe aber doch immer mal wieder auf (schon gleich nach der Stunde mit Dr. Kupper fühlte ich, dass ich nicht so erleichtert war wie früher gewöhnlich nach einer Stunde; vielleicht kam es, weil er sich absichtlich etwas distanzierter gehalten hatte; und die Tatsache, dass er bei einer etwaigen Fortsetzung mich an jemand anders weisen würde, fühlte ich vielleicht als Rejektion. Ina kam zu mir, und das Zusammensein und Musik tat uns beiden gut.