59Tagebuch 30. VIII. 1954 – 31. XII. 1956 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag So 21. VIII. 1955

4-9 Kecskemeti und Bohnert hier. Über die Natur von moralischen Wertsätzen. K. sagt, ought-Sätze sind nicht dasselbe wie einfache Imperative. Ich: Ja, aber Imperative haben die Form „!p“ oder „fial p“, und ought-Sätze können analysiert werden in komplizierter Weise als bestehend aus ‚!’ und faktischen Sätzen. K. und ich stimmen überein, dass, auch wenn zwei Leute in allen faktischen Annahmen übereinstimmen, Unterschiede in Wertprinzipien bestehen können. Er betont die Kulturgemeinschaft: innerhalb derselben Kultur können zwar subjektiv prinzipielle Unterschiede bestehen, aber da ist wenigstens die Hoffnung, sich zu einigen; für Personen aus verschiedenen Kulturen bestehe kaum eine Hoffnung. – Später über Reformen und Revolutionen. Er betont die Notwendigkeit von kultureller Kontinuität, und Kontinuität in kooperativem Verhalten; darum nicht nach utopischen Plänen reformieren. Er tadelt das 18. und 19. Jahrhundert, weil sie dies wollten. Ich dagegen: Ich bejahe die Aufklärung, er nur bedingt; ich bejahe die Französische Revolution, er sagt, sie hat mehr Schaden getan. Er wäre dagegen, die Monarchie in England usw. abzuschaffen. Er nennt sich „conservative“. Bohnert ist auf meiner Seite. Ich stimme ihm zu, wenn er nur warnt, Änderungen nicht zu schnell und häufig zu machen. Aber ich sage: auch nicht zu langsam; wenn die Deutsche Revolution ‚18 ein wenig radikaler vorgegangen wäre, wäre vielleicht das Hitlerregime nicht gekommen.) 6-9 auch Helmers. (Nach dem Abendessen installieren sie den bleib-offen an meinem Television. Dann gehe ich zu Bett. Ina spricht noch mit ihnen bis 10, weil Mutzli noch bleiben möchte. Mutzli überlegt zum College zu gehen und degree zu machen, Für den Fall, dass Olaf von RAND retirieren möchte!)