65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 25. VII. 1955

Ich frage, wann er Ferien macht. Er: ca. 18.8. oder 19.8. – 11.9. – Ich gab Fr Vortrag im City College, populär; erst Zögern, dann lebhaft; auch allerhand Diskussion. Dann informelle Diskussion im kleinen Kreise von Lehrern. Ein Professor fragte mich über das Problem der Homosexualität. Ich sagte allerhand; was man unterscheiden müsse; keine moralischen Gesichtspunkte, usw. Er: Der hatte sicher selber mit dem Problem zu tun. Ich: Mia sagte mir, er habe klassische Psychologie studiert, sei jetzt Studentenberater. Er: Es ist ziemlich sicher, dass er selber damit zu tun hat, und es darum schwierig findet, die Studenten zu beraten; besonders wenn ein Student selbst nicht recht weiß, was mit ihm ist. 🕮\(_{64}\) Z.B. wenn einer von einem Mädchen zum anderen läuft, wie Don Juan; das ist oft, weil er unbewusst von seinem Homowunsch weglaufen will. Ich: Ich glaube, Freud sagte, der Don Juan Typ suche immer die Mutter unbewusst. Er: Das ist verwickelt; die Muttersuche ist auch oft dabei; aber tiefer liegend das homo; Er: Es ist merkwürdig, dass wir erst von seinen Ferien sprechen, und dann ausführlich von homo; das Persönliche spielt doch eine große Rolle, auch in der Analyse. Er: Seit ich like ihn, ist viel stärkere Wirkung da. Ich: Ja, das habe ich auch gespürt! –

Ich erwähne, dass ich immer Notizen mache, über unsere Sitzungen; dass ich überrascht war, als Ina sagte, das sei ungewöhnlich. Er ist auch erstaunt. Ich: Mir scheint es ganz natürlich; es sind doch wichtige Dinge für mich, die ich nicht vergessen und verlieren will; ich habe das Gefühl, wenn ich das nochmal durchlese, hat das die doppelte Wirkung. Er: Es ist aber auch wohl auch eine Form von Intellektualisierung. Ich: Ich schreibe auch Karten über alles Gelesene, und rate auch Studenten, das zu tun. Er: Vielleicht ist das auch, um gewisse Gefühle, die dabei waren, hinter dem Theoretischen zu verstecken. Ich: Ich finde es aber auch praktisch nützlich, sogar unentbehrlich. Er: Die Philosophen machen alles theoretisch, und unsere Richtung bemüht sich ganz besonders, alle gefühlsmäßigen Störungen auszuschalten. Die Studenten aber kommen zu Philosophie, wie auch zu Psychologie und zuweilen auch zu Sozialwissenschaft, hauptsächlich über emotionale Bedürfnisse. Es ist gut, das zu erkennen, wenn sie mit mir über ihre Probleme sprechen. (Vorher, über den Psychologen; ich: aufgrund davon, was der Doktor sagt, bin ich froh, dass ich ihm ausführlich geantwortet habe, so gut ich konnte; das mag ihmspäter eingefügt hinter zurückverweisendem Pfeil: PsychologenBeruhigung gegeben haben, dass es eine natürliche Sache und nicht eine moralische Frage ist.)