65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 14. VII. 1955

Ich berichte: Heute alleine gefahren; am 9. schon eine kurze Fahrt zu Dr Ford. Beim Fahren anfangs tense, aber bald ruhig; und dann macht es Spaß, allein „das Schicksal steuern“. –Dr. Ford hat gefunden: Duodenalgeschwür. Zuerst war ich enttäuscht, weil er (Dr. Kupper) mir versichert hatte, es wäre nichts; aber Dr. Ford beruhigte mich: das sei etwas sehr Häufiges; außerdem dachte ich: da er Narben sieht, so habe ich schon früher solche gehabt, und die sind geheilt, da wird auch dies heilen. Er: Dr. Ford hat ihn angerufen, und es ihm mitgeteilt, etwas apologetisch und minimierend; Dr. Kupper erklärt mir: Ein Duodenalgeschwür bedeutet viel weniger als ein Magengeschwür; aus letzterem entwickelt sich in 1/10 der Fälle Krebs, aus ersterem aber nicht; die meisten Leute, die welche hatten, wissen es gar nicht. Er sagt: Es scheint mich nicht besonders zu berühren. Ich: Nein; am Anfang war ich zwar enttäuscht, und auch für einen Moment kam mir wieder Idee über Krebs usw. Aber dann sahe ich es ruhig an. – Die letzten 3 Tage waren nachmittags immer Leute da; teils Persönliches, teils Fachgespräche. Ich finde, dass ich gerne mit Menschen spreche. – Wir sprechen über die Furcht, die mein Leben lang mich gehemmt hat. Ich: Jetzt, seit der Rückensache, habe ich oft bewusste Furcht oder Sorge: nämlich, ob etwas mit dem Rücken passieren wird. Aber vorher war mir die Furcht nicht als solche bewusst. Ich sehe nur rückschauend, dass vieles gehemmt war; also muss da unbewusste Furch gewesen sein; aber ich kam mir selbst nicht vor als worrying und beängstigt; sondern im Gegenteil als optimitisch, besonders auch in solchen guten Zeiten wie Wien. Er: Aber da waren doch immer die Regeln und Einschränkungen, wie Vorsichtsmaßregeln, als ob eine Gefahr drohe, eine Katastrophe. Ich: Aber Furcht vor was? Er: Wir können das nicht genau erkennen, aber es hing sicherlich zusammen mit dem Problem der Männlichkeit; ich wollte nicht Gefühle zeigen, weil das mir als weiblich und schwach erschien; aber andererseits schien mir bei der eigentlich männlichen Tätigkeit, besonders Sex, eine Gefahr zu lauern, so dass ich sie durch Regeln einschränken musste; solche Einschränkungen und Aufopferungen sind oft rational, um die Götter zu vergessen, da z. B. vor der Ehe Sex ganz ausgeschlossen, und nachher sehr geregelt und eingeschränkt; immer, als ob der Blitzstrahl des Donnergottes droht; sogar anfangs bei ihm die Furcht, als ob er eine drohende, allmächtige, unmenschliche Gestalt wäre, anstatt eines wirklichen Menschen mit seinen Schwierigkeiten.