65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 1. VII. 1955

(Jetzt immer sitzend.) Ich sage wieder, es ist leichter so im Sitzen. Ich frage, ob er vielleicht warten will, bis ich „stark genug“ werde, es wieder im Liegen zu können. Er: Nein; dies scheint ihm jetzt das Richtige; er habe keine bestimmten Regeln; wenn er mal anders denkt, wird er es explizit sagen. –durchgestrichener Gedankenstrich Ich erzähle, dass Ina neugierig war, ihn zu sehen, aber dann doch die Konsultation mit ihm nicht wollte, hauptsächlich, weil sie glaubte, ich hätte Gefühle dagegen. Er: Sie könnte auch selbst unbewusst Gefühle dagegen haben. Ich sage, dass Ina jetzt Analyse mit Dr. Pastron macht. Er: Das wird es auch leichter für mich machen, weil sie dort Auslass für Spannungen hat, die sich sonst gegen mich entladen; es könnte ganz gut sein, dass das mir hilft über die Sexhemmungen der letzten Wochen (von denen ich ihm gestern berichete). Ich frage, ob es wohl nicht gut ist, dass ich Ina vieles aus meiner Analyse erzähle. Er: keine strikte Regel; aber wohl besser, nicht zu viel; wenn ich Gefühle über unsere Meetings habe, besonders Gefühle gegen ihn, so ist es zwar naheliegend für mich, schon bei Ina Auslass und Beruhigung zu finden; besonders wenn es lange dauert bis zum nächsten Meeting; aber die Folge ist, dass mein Response zu ihm dann abgeblasst kommt und nicht so unmittelbar, wie es gut für mich wäre. (vorher mal:) Heute morgen Traum, aber ich konnte nicht ganz erinnern; nun habe ich nur alten Traum, von vor 2 Wochen; lohnt sich das oder ist der schon zu abgeblasst? Er: Wir wollen lieber über die Probleme sprechen. Über meine übermäßige Abhängigkeit von Ina. Ich: In Wien anfangs war es so, dass Ina es bedauerte, dass ich unabhängig war und sie nicht „benötigte“. Er: Vom Kleinkind an sind schon die Konflikte die zwei Gefühle: zur Mutter wollen und sich von ihr unabhängig machen. Das Kind resents dass es die Mutter needs; es will immer mehr unabhängig werden, und die Mutter muss ihm helfen dazu, anstatt ihn zurückzuhalten. Die richtige Liebe wants den Anderen, aber nicht so, dass sie ihn needs, weil das immer zugleich Gegengefühle mit sich bringt. Es gibt eine gesundere und glücklichere Beziehung, wenn jeder den anderen liebt und wünscht, aber nicht needs.