65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 6. VI. 1955

Ich gebe ihm den Scheck, danke ihm, dass er nicht die abgesagte Sitzung angerechnet hat. Er: Hatte ich das erwartet? Ich: Nein, aber Ina sagte mir, dass Freud und seine Anhänger doch immer anrechneten; aber auf der Rechnung ist dann eine Sitzung als wir hatten; ist das ein Kompromiss, sodass er doch eine angerechnet hat, vielleicht weil zu spät abgesagt , oder ist es eine Frage, wieviel Sitzungen wir wirklich hatten? Er: Das ist für die eine Sitzung, wo ich spät absagte, und er den Eindruck hatte, dass ich an sich hätte kommen können [das war vermutlich Fr, 13.5., meine erste Absage; damals sagte er am Telefon, ich soll mein eigenes Urteil gebrauchen.] für die anderen Sitzungen habe er Ersatz arrangieren können. Ich: Ina sagte mir in Princeton, dass ein Freudianer den Patienten mit Agoraphobie zwingt, doch in sein Office zu kommen; wie denkt er darüber? Er: Wenn er überzeugt ist, dass nichts Organisches vorliegt, würde er auch sagen, ein solcher Patient müsse zu ihm kommen. IchDie Tatsache, dass Dr. Wallis es mir leichter gemacht habe, und mir auch freundlichen Zuspruch und Ermutigung gegeben habe, mache ihn jetzt leiden, weil ich es jetzt gegen ihn halte, dass er das nicht tut; ich habe ja früher auch mich beklagt über den Kontrast. Ich: Ich hatte damals die Gefühle gegen ihn; aber später habe ich wohl verstanden, dass er es für richtig hält, die Rolle des Vaters zu spielen, weil Dr. Wallis die Mutter war; und noch später erkannte ich, dass das gut war. Ich frage: Was hatte, später korrigiert: „hätte“ er am Anfang in Princeton in meinem Falle getan?Er: Er wäre nicht in mein Haus gekommen; er hatte; später korrigiert: „hätte“ einen Arzt, wie z. B. Dr. Ford, aufgefordert, mich zu untersuchen und vielleicht wöchentlich zu sehen, um mir zuzusprechen, dass körperlich keine Bedenken dagegen wären, aufzustehen; er selbst, würde abgewartet haben, bis ich dann zu ihm gekommen wäre. Ich: Aber mein psychologischer Zustand war doch so, dass ich eine Menge Therapie brauchte, bis ich aufstehen konnte; ich kann mir nicht vorstellen, dass ich bloß auf den Zuspruch eines Arztes hin hätte aufstehen können. Es dauerte auch mit Dr. Wallis’ Behandlung Wochen, bis ich die starre Lage auf dem Rücken aufgab, und Monate, bis ich auch nur im Hause herumgehen konnte. Ich weiß nicht, was ich dann getan hätte. Aber es hat wohl keinen Zweck, darüber viel zu spekulieren. –Ich berichte: In den letzten Tagen etwas auf und ab; Sa war ich glücklich, dass letztes Seminar gegeben und das akademische Jahr gut erfüllt ist; aber abends spüre ich „Muskeln“; später Erektion, aber kein Orgasmus; dann schlechte Nacht mit viel Störung durch Magenschmerz. Gestern abend, obwohl Nacht vor dieser Sitzung, ging es gut; zum ersten Mal keine Magenstörung, gut geschlafen. Heute morgen Traum 168: Ich klettere in einem großen Schiff herum; die Aufgabe ist, irgendwohin zu kommen. Er: Was ist die Aufgabe? Ich: (1) Die große Aufgabe des Unterrichts, die ist glücklich gelöst; die gefühlsmäßig wichtigere Aufgabe des Fortschritts in der Analyse. Er: Woher diese Situation, mit Klettern, Leitern, usw. Ich: Die Treppen und Leitern in einem großen Schiff sind faszinierend; Klettern ist etwas Schönes, besonders wenn es Routine ist; das ist der Sex, wie Musik und Tanz; ein Kind klettert gern, Treppen, Bäume, Zäune, usw.; Klettern auf der Mutter Schoß, dann da stehen, die Brust packen usw. Im Traum besah ich „la folia della flora“. Er: Warum diese Wort? Ich: petals einer Rose, weibliches Organ; dann noch Assoziation: „La follia . Gestern abend Esperanto gelesen; die Traumworte hatten ein ähnliches Gefühl.