65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 4. IV. 1955

Ich berichte: Seit 1.4. tense, Muskeln gespürt, leicht müde; psychologische Ursache unbekannt. –Traum vom 2.: (1) Ein Mann (ähnlich Sellars) hält mich fest am Rist, auf der Couch; ich werde zornig und will ihn ins Gesicht schlagen. – (2) Ältere Frau, ich helfe ihr, viele Jacken usw. ausziehen. – (3) Eine nurse schenkt mir Orangenmarmelade. – (4) Ein Mann mit Pelzmütze will im Schlitten wegfahren. (Noch nicht beendet.) – Er fragt nach Assoziationen zu (1). Sellars war im Dezember hier, hielt mich manchmal lange in Diskussion. Vielleicht bedeutet es: Sexattacke. Er: Die Hand halten sieht doch nicht sehr nach Sex aus. Ich: Doch, ich würde ein Mädchen auch an den Händen festhalten. (Ähnlich zu früheren Träumen mit Bohnert.) Vielleicht mein Wunsch nach Attacke. Die Situation mit der Couch ist ähnlich wie hier in der Analyse; er hält mich fest durch Autorität und manchmal, wenn ich unzufrieden bin, kann ich nicht einfach weglaufen. Voriges Mal im Traum von Agnes der Jüngling erinnert mich an ihn: er hört immer schweigend zu, und ich wollte lieber allein mit Agnes sprechen; so ist es jetzt leichter für mich, mit Ina zu sprechen als mit ihm; Manchmal habe ich zu ihm ein Gefühl wie zu hoher Autorität, und manchmal wie zu Jüngling. Ich weiß aber nicht, was er über mich denkt. Mache ich Fortschritt? Ich hätte gern objektives Urteil. Dr. Wallis sagte einige Male, dass ich guten Fortschritt machte; das war große Ermutigung. Aber er will mir leider nichts sagen. Er: Doch, er wird happy sein, mir zu sagen, was er denkt: Die Frage ist nicht, welchen Fortschritt ich im äußeren Leben mache; es ist vielmehr, ob klar wird, wie die jetzigen Schwierigkeiten, die allerdings teilweise auch organisch bedingt sind, mit Dingen der Kindheit zusammenhängen. Ich: Ja, mir ist immer klarer geworden, wie stark es mit der Einstellung als Kind zusammenhängt, mit Beziehung zum Vater, und mit dem Problem, die Rolle des Mannes und Vaters zu übernehmen. Aber diese Einsicht ist doch wohl nicht genug; was ich erträume ist doch, dass sie Wirkung auf mein Leben hat. Er: Er hat den Eindruck, dass die Einsicht nur theoretisch da ist, in meinem Denken, nicht im wirklichen Gefühl; was fehlt, ist, dass in der Analyse wirklich Gefühle herauskommen; das war nur ganz selten, z. B. als ich über die Geschichte mit dem Dean sprach, und einige wenige andere Male; oft scheint es ihm, dass ich viel spreche, um nicht Gefühle herauskommen zu lassen, sondern im Gegenteil, um zu verhindern, dass sie herauskommen; aber das ist ja nicht erstaunlich, da ich ein ganzes Leben mir versagt habe, Gefühle herauskommen zu lassen; es scheine nach meinem Bericht, dass bei Dr. Wallis mehr Gefühle herauskamen. Ich: Das scheint so, weil der Bericht die Höhepunkte herausgreift; das waren doch nur ganz besondere Fälle.