Ich berichte: Gestern Kaplans zweiter Besuch. Ich sagte ihm, wie ich bedauert hätte, dass wir uns während seines Hierseins (im 3. Semester) nicht häufiger gesehen hatten, ich hätte es so gewünscht, auch für persönliche Aussprache; ich hatte ihm gesagt, er wäre immer willkommen, aber hatte es wohl doch nicht genug zum Ausdruck gebracht, dass ich es mir wünschte; Kaplan sagte: ja; außerdem sei er natürlich zögernd, meine kostbare Zeit zu verschwenden. Ich frage ihn auch, wie ich in Chicago zu den Studenten war; er sagte: immer willig, diese Zeit zu geben für philosophische Aussprache, aber doch nur willig, man fühlte, dass es ein Opfer war. Ich frage ihn, wie oft er wohl in unserem Appartment gewesen wäre; er meint, nur ein oder zweimal! Aber das sei besonders eindrucksvoll gewesen. Ich war erstaunt, dass da so wenig war; obwohl mir klar war, dass ich reserviert war. Schließlich war ich froh, dass wir die freie Aussprache hatten, und uns dadurch näher kamen; und ich glaube, auch Kaplan war froh darüber. –Der Doktor: Es ist gut, dass dies herausgekommen ist; es zeigt, wiederum, wie sehr ich immer Furcht hatte, Gefühle zu äußern und anderen Menschen näher zu kommen, besonders Männern. Was war die Furcht? Ich: Offenbar Furcht davor, zu aktiv und männlich zu sein. Er: Aber auch Furcht, zu weiblich zu sein. Ich: Das sehe ich nicht so klar. –Er: Auch in der Analyse, wenn mir Gefühlen kommen, nehme ich immer einen Panzer (suit of armour) um mich, indem ich besonders akademische Sprache verwende. Auch wohl meine ganze Berufswahl, ins möglichst Abstrakte, zeigt das. Ich: Aber da ist doch auch eine einfachere Erklärung, nämlich dass von Kindheit an, Neigung und Begabung für theoretisches Denken da war. Er: Aber das war doch nicht allein da; in mir als Kind waren doch ganz besonders starke Gefühle, vielleicht mehr als bei meiner Schwester. Ich: Ja. Auch später noch, als Student, starke Neigung nach beiden Seiten: zum Theoretischen, aber auch zum Romantisch-Gefühlvollen, im Serakreis; Diederichs Brief über meine Berufswahl.