65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 4. II. 1955

Ich berichte: Nach der schlimmen Sitzung war ich deprimiert, unzufrieden mit mir, und unzufrieden mit ihm, dass es mir so schwierig gemacht durch kritische und depreciating Bemerkungen wie z. B. am 28.1. („das und das …“); das ist enttäuschend für mich und vermehrte noch die Hemmungen. Er: Ich empfinde es nur so; er hat in Wirklichkeit keine Herabsetzung gemeint. Dr. Wallis hat mir immer Unterstützung und Rat gegeben, und das war gut für die erste Phase; nun aber ist es ein Ziel, dass ich lernen soll, offensiv zu werden; darum gibt er mir nicht Rat, Aufforderung, Ermutigung, obwohl ich es oft wünsche und ihn danach frage. Ich: Auch Dr. Wallis hat das später nur wenig getan. Aber es war doch leichter, weil ich immer das Gefühl hatte, „accepted“ zu sein; Dr. Wallis sagte am Anfang, dies Gefühl ist eines der wichtigsten Erlebnisse in der Analyse; bei ihm bin ich unsicher, weil so oft Kritik kommt. Er: Es ist nicht als Kritik gemeint; seine Erinnerung voriges Mal: „Dies ist bloß Theorie, und Unsinn“ meinte: ich sage das nur so theoretisch, ohne es zu fühlen. Ich: Nein, gewisse Grundpunkte der Theorie sind mir durch so viele Erlebnisse bestätigt worden, dass sie jetzt ganz in meine Denkweise übergegangen sind; z. B. Liebe zur Mutter, Konflikt mit Vater, usw. Er: Aber meine Beziehung zum Vater ist nicht nur Konflikt, sondern auch Hochschätzung und Unterwerfung, wie ein Mädchen, das wünscht, dass der große Mann mit ihr alles tut, was er will. Ich habe im Leben immer jemanden gesucht, zu dem ich solche Beziehung haben konnte; dass sei vielleicht einer der Hauptzüge meiner Einstellung. Ich: Das habe ich bisher noch nicht gedacht. Ich habe mich sogar gewundert, warum ich keine älteren und fast keine gleichaltrigen Freunde habe, sondern meist jüngere; aber das spricht natürlich nicht dagegen, dass ich es vielleicht doch gewünscht habe. – In der Nacht nach letzter Sitzung ein Traum: (1) Ich stehe mit Frank und Freunden im Schnee; ich erwähne Hasse; auf Frage sage ich, er war besonders ingenious in Zahlentheorie und Analysis; aber danach habe ich Zweifel ob es stimmt. (2) Fritz Becker; ich begrüße ihn herzlich. Dann geht er hinunter zum Eingang einer Höhle; da steht ein kleines Mädchen; sie im Spiel: er fragt um Erlaubnis, in die Höhle zu gehen, und sie gibt sie ihm; und auch, später wieder hinaus zu dürfen, die gibt sie auch. –Assoziation: Fritz Beckers Sturz beim Klettern, Stirnwunde, usw., schließlich Operation und Gesundung. Der Doktor: Bemerkenswert, dass ich nach dem Tag, wo ich überwältigt war von den Schwierigkeiten mit ihm, den Traum hatte, der darstellte, welche Gefahren einem drohen: die Kastration. Ich: Meine Furcht, als ich dann alleine hinunterklettern musste, war arg; der Anblick der Wunde hatte mich arg erschreckt. – Beim Aufstehen sage ich: Ich fühle mich jetzt sehr relieved, dass ich es alles gesagt habe. Er: Ich bin auch froh darüber. Ich: Ich hätte gewiss alles gleich voriges Mal in der Sitzung sagen sollen; aber ich konnte nicht. Zu Hause machte ich mir meine Gefühle klarer; dann vermisste ich sehr, dass ich ihn nicht gleich denselben Abend sprechen konnte oder nächsten Tag. Nun ist es gut, dass es heraus ist.