65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 3. I. 1955

Ich berichte: Wir fuhren jetzt mit Gusti, die einige Tage da war; sie hat schwierige Entscheidung wegen Scheidung vor sich. Es wird mir dann klar, wie gut im Vergleich mit vielen anderen es mir und uns geht. Ich bin jetzt mehr willig, auf andere Menschen einzugehen; nicht mehr im Schneckenhaus, wie zuerst in Princeton. Auch vorher zu wenig Gefühle geäußert; Ina sagte in Wien, ich machte mich hart aus Furcht, wegen meiner dickenBacken zu weich und weiblich zu erscheinen. Er sagte voriges Mal: Ich wollte wie die Mutter sein, aber hatte auch wieder Angst davor, wie ein Mädchen zu sein. Mir fällt ein: Wie Otto Glantz mich mal als „Tante Rudi“ verspottete. Warum ist es beschämend für einen Jungen, wie ein Mädchen zu sein, aber nicht für ein Mädchen wie ein Junge zu sein? Zu dem Jungen gehört die aktive, aggressive Rolle, wie später als Mann im Sex. –Er: Also war ich über das Wochenende nicht sad? Ich: Nein, bestimmt nicht; im Grunde cheerful, wenn wir auch schwierige Probleme mit Gusti besprachen. Im Rückblick auf das vergangene Jahr dachte ich: Dies war ein gutes Jahr, und das sagte ich auch zu Ina. – Er: Diese Stunde war mehr in einem „philosophischen mood“ wie die Leute sagen. Ich: Ja, etwas spekulierend, aber auch hier und da freie Einfälle. – (Vorher mal:) Wir sind vom Hauskauf zurückgetreten; wir mussten 300 Depot aufgeben, aber wir haben uns nicht viel Kummer darüber gemacht; mehr darüber, ob wir das Richtige taten, erst mit Kauf, dann mit Zurückziehen. –🕮\(_{40}\)