65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 17. XII. 1954

Ich sage: Ich war betroffen voriges Mal durch seine Bemerkung, dass mein Bericht über Träume und die Assoziationen dazu gewar wie ein Ritual; ich sehe keine Ähnlichkeit da: vielleicht sollte ich es also anders tun, aber wie? Und das ist doch inkonsequent damit, dass er früher sagte, ich solle nicht kontrollieren, sondern es laufen lassen wie es kommt. Was von beiden meint er nun? Er schweigt. Ich: Ich warte auf eine Erklärung, wie er will, dass ich es tue; oder vielleicht will er keine geben und ich soll irgendwie fortfahren? Er: Die letzten 6 Male [wirklich? ich dachte, nur 2] sei ich gekommen und habe gleich zu Beginn Argument angefangen, vermutlich aus Widerstand, um etwas zu vermeiden, wovor ich mich fürchtete, wenn ich unvorbereitet käme; ich bin jetzt gerade wie ein Kind. Ich: Gewiß, aber absichtlich; ich habe meine Tirade nicht unterbrochen, weil er gesagt hat, ich soll mich nicht beschränken und kontrollieren. Das ist doch wieder inkonsequent, mich dann dafür zu tadeln. (Hier werde ich wirklich ärgerlich und fühle: Es ist ja schwierig mit ihm zu reden; immer hat er was auszusetzen, wie man es auch macht.) Er: An welche früheren Situationen im Leben erinnert dies? Ich: In der Kindheit sicher manchmal, ich weiß keine Einzelheiten, wo man dachte: So und so wird man getadelt von Vater oder Lehrern. Dann besonders im Krieg: „Wie man’s macht, wird’s verkehrt“. Er: Er hat besonders das in der Kindheit gemeint. Ich: Ich erinnere nur allgemeine Haltung, nicht konkrete Vorgänge; der Vater tadelte mich oder verlachte mich, dass ich nicht eifrig und aktiv mit den Jungens spielte; wenn ich es aber tat und dabei Regel übertrat, z. B. im Steinbruch, dann wurde ich dafür getadelt. Wenn ich zu leichte weinte, verspottete er mich als Mädchen, was sehr kränkend war. Ich hatte Furcht nach beiden Seiten: zu aggressiv zu sein, oder zu schwach und weiblich zu sein. Ich hatte Furcht; auf den Zweig hinaus zu klettern, aus Angst vor dem Sturz, und nicht zu klettern, aus Angst dafür getadelt zu werden. Er: Das ist ein gutes Bild; so bleibe ich sozusagen mit einem Bein auf dem Zweig und einem Bein auf dem Grund stehen. Er sagt, es ist jetzt im Grunde dasselbe mit dem Rücken: die Angst, aufzustehen und zu gehen, weil das zu Aggression und dann Katastrophe führen könnte; und andererseits die Furcht, durch Liegenbleiben und Inaktivität weiblich zu werden. Es sei ihm besonders klar geworden, dass dies die Basis der ganzen Schwierigkeit sei, dadurch (1) dass es gerade kam vor Beginn der Zeit am Institut in Pr., mit den großen Vätern wie Einstein; und (2) dass Dr. Wallis so guten und schnellen Erfolg hatte, indem er mir versicherte, ich könnte sehr wohl aufstehen und gehen; aber er wolle jetzt noch tiefer kommen.