65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 4. I. 1954

(Eine Sitzung ausgefallen Neujahr.) Ich berichte: Gestern der erste Spaziergang, ging gut. Viele Besucher. Mrs. Feigl, langes Gespräch über ihre Kindheit usw. Der Doktor meint, ich hatte für sie die Rolle des Analysten, zu dem sie sich aussprechen konnte. Ihre Kritik über die Analytikerin. Else Brunswik; sie sagte, jeder Patient ist zuweilen böse auf den Analytiker und bringt es heftig zum Ausdruck. Ich sagte ihr, ich könnte das nicht. Sie meinte, weil ich den Doktor zu gut kenne. Ich meine, wohl auch, weil ich seit Kindheit erzogen worden bin, dass man keine Zornausbrüche haben darf. Ich sage ihm ambivalente Gefühle über sein Kommen heute: (1) Ich freue mich darauf und bin ungeduldig darauf; (2) negatives Gefühl, dass er letzthin so selten gekommen ist; (3) er kommt schon wieder, ich möchte in Ruh’ gelassen werden. Er: Das kommt aus verschiedenen Lebensperioden: in der Adoleszenz will man selbständig werden und ist gegen Interferenz; in der Pubertät wünscht man Gefährten; in der Kindheit wünscht man und Hilfe. – Über Zorn noch: bei Intellektuellen und kommt das nicht so leicht; aber möglicherweise kommt das auch bei mir mal heraus. Er sagt, meine Entwicklung in der Analyse sei ungewöhnlich schnell gegangen; meine Bereitschaft, meine Haltung umzustellen, war eine große Hilfe.