65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 13. XI. 1953

Wie wird es sein mit draußen spazieren lernen, wenn Ina fort ist in ihrem Job? Wie und wann wird das überhaupt geschehen? Er sagt, von ihm aus ist überhaupt kein Hindernis mehr, alles zu tun und auch auszugehen. Ich: Das wäre aber zu früh, ich muss es doch allmählich lernen. Er: Die langsame Methode ist wohl nicht die beste. Er hat Kindern Schwimmen beigebracht in einer Stunde; (crawling anstatt des schwierigen Brustschwimmens, und sogar Tauchen. Er zeigt ihnen als Kniff, unter Wasser auf den Beinen zu kriechen; dann können sie leicht schwimmen ohne Angst, unter Wasser zu geraten). Ich sage, dass ich mir vor und auch beim Gehen immer zurede, dass, wenn ein Schmerz kommt, es harmlos ist, und kein Grund, zu erschrecken. Er sagt, es ist besser, nicht immer daran zu denken (als ob man einem Kind immerzu sagen würde: „sei nicht bange!“ Es ist besser, nur an anderes zu denken: dass man dorthin gehen oder etwas holen wolle, und die Sorge um die möglichen Schmerzen lieber zu vergessen. Wenn ein Schmerz kommt, ist dafür Zeit genug; dann soll ich still stehen und warten, bis ich ganz entspannt bin, dann verschwindet der Krampf und der Schmerz; und dann kann ich einfach weitergehen, entweder ins Bett zurück oder auch was immer ich sonst will. Auch bücken und drehen usw. sind genau ebenso leicht möglich wie gehen; ich könnte überhaupt meinen Körper ganz frei beliebig bewegen, auch „Purzelbaum“ schlagen. Ich: Früher ist aber der Schmerz so oft angekommen bei bücken und drehen. Er: Das waren wohl neuralgische Schmerzen, ausgelöst durch irgendeine Bewegung (so wie bei manchen die Gesichtsneuralgie, pic doloreux, durch Kauen ausgelöst wird). Das ist durch die B12 Injektion jetzt ganz kuriert; es scheintdurchgestrichenes Komma, nach den Erfahrungen des letzten Jahres oder so, dass diese Injektion überhaupt nicht wiederholt zu werden brauche. – Er spricht auch wieder davon, dass ich angezogen herumgehen und sitzen könnte, auch hinlegen auf Bett oder Couch; wegen der psychologischen Wirkung, weil es die Haltung des gewöhnlichen Lebens suggeriert. – Er sagte am Anfang, dass er es mir selbst überlassen wollte, über Aufstehen usw. zu entscheiden; darum habe er sich ganz auf die psychologische Seite beschränkt, um die Wurzeln der Angst zu beseitigen. Er wolle mir nur klar machen, dass keine objektiven Hindernisse im Wege stehen, aufzustehen und mich frei zu bewegen; dass nichts Äußeres oder Körperliches im Wege steht, sondern nur inneres Superego mit seinen Verboten und daraus entspringenden Ängsten. 🕮\(_{18}\)