57Tagebuch 23. VI. 1952 – 22. IX. 1952 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 21. VII. 1952

Beim Frühstück politisches Gespräch, hauptsächlich zwischen AnnemariePCarnap, Annemarie Hedwig, 1918–2007, auch Töchterle, Tochter von Rudolf und Elisabeth Carnap und Ina (AnnemariePCarnap, Annemarie Hedwig, 1918–2007, auch Töchterle, Tochter von Rudolf und Elisabeth Carnap behauptet mit Entschiedenheit, dass die Unfreiheit jetzt im Osten Deutschlands „unvergleichlich schlimmer“ ist als in HitlerdeutschlandPHitler, Adolf, 1889–1945, öst.-dt. Politiker; damals hätten die Antinazileute offen darüber zu ihren Freunden sprechen können! Und die Schuld am Krieg läge doch nicht bei Deutschland allein.) Später habe ich langes Gespräch mit ihr allein im Study über die Entwicklung der politischen Einstellung der Stockdorfer5Stockdorf war seit den 1930er-Jahren der Wohnort von Elisabeth Carnap. (sie ist sich nicht bewusst, wie sehr sie alle begeisterte Nazis waren. Sie sagt, dass sie manches kritisiert habe, z. B. die Judenverfolgungen; sie ist erstaunt, dass ChristiansenPChristiansen, Broder, 1869–1958, dt. Philosoph das bereut hat. Sie sagt, ChristiansenPChristiansen, Broder, 1869–1958, dt. Philosoph habe schon früh 🕮 gesehen, dass Deutschland unterliegen würde, habe es aber ChachaPCarnap, Elisabeth, 1895–1987, auch Cha oder Chacha, Grafologin, Tochter von Luisa und Heinrich Schöndube, von 1917 bis 1929 verh. mit Rudolf Carnap nicht so offen gesagt; sie alle hätten schließlich gesagt, dass es besser wäre, wenn die Nazis nicht siegen würden. Sie scheint gar kein Bewusstsein zu haben von der Mitverantwortung für das, was Deutschland getan hat. Sie ist „unpolitisch“, will hier auch nicht die „National“ und anderes lesen; sie ist nur interessiert am „Lebensgefühl“ und am „persönlich Menschlichen“. Den ganzen Tag Regen und kühl; meine Muskeln werden empfindlich und ich liege nachmittags im Bett, arbeite am AbrißB1954@Einführung in die symbolische Logik, Wien, 1954.