65Tagebuch 06. X. 1952 – 03. VIII. 1955 [Analyseprotokolle] [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 1. XII. 1952

Ich erzähle ihm von den großen Erlebnissen der letzten Tage (29. abends mit Ina, zum ersten Mal seit über 2 Jahren. In der Nacht in Fantasie wieder durcherlebt, und dabei gegen den Vater geschrien, unhörbar. Gestern abend, wie es es Ina erzählte, wieder das durchlebt, aber schon mit lauter Stimme, zitternder Erregung und Tränen. Wie glücklich wir nun sind über diese Wendung. Inas Selbstvorwürfe während der 2 Jahre. Ich fühle mich so befreit, ein gewandelter Mann. Ist das nicht ein neuer wichtiger Schritt vorwärts? Er: „Oh my, the main thing“. Ich: Dies ist eine große Ermutigung; ich fürchte mich nicht mehr vor den Schwierigkeiten, die in der Analyse noch kommen mögen. Wie konnte er wissen, dass der Vaterkonflikt bei mir der Hauptpunkt war? Er: Er vermutete es, weil es ein sehr verbreitetes Pattern ist. Ich sage ihm, wie dankbar wir ihm sind. Ich fühle auch, ich bin nicht mehr so gehemmt im Gefühlsausdruck, wie mein ganzes Leben; das war wohl nicht angeborener introvertierter Typ, sondern auch die Entmutigung, weil die Schwester Gefühle so viel leichter ausdrücken konnte. Vielleicht hatte ich sogar nicht so starke Gefühle wie andere dadurch. Er: Er glaubt nicht; es war nur, dass ich nicht ausdrücken und zuweilen die Gefühle selbst unterdrückte. – Er sagt nachher zu Ina: „a marvellous step“; ob sie vielleicht daraufhin denkt, sie braucht keine Analyse mehr? Sie: Das doch nicht; sie wird mal mit ihm darüber sprechen.🕮\(_{7}\)