32Tagebuch 30. XII. 1928 – 31. XII. 1929 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 24. X. 1929

Da Auf dem Wege ½ Stunde Besuch bei Doktor Walter MarseillePMarseille, Walter W., 1901–1973, dt.-am. Psychoanalytiker, Psychoanalytiker in Vorbereitung, Graphologe. War 2 Monate bei MainaPBachmann, Maina, 1902–1996, Tochter von Johannes Müller, verh. mit Gerhard Bachmann, erzählt mir, dass die Ehe doch schwer geht. Nicht nur sexuell, sondern vor allem geistig bekomme MainaPBachmann, Maina, 1902–1996, Tochter von Johannes Müller, verh. mit Gerhard Bachmann von GerhardPBachmann, Gerhard, Arzt, verh. mit Maina Bachmann zu wenig, der zu robust und primitiv sei. Vielleicht werde Scheidung unvermeidlich werden, aber schwierig wegen der Kinder, an denen er sehr hängt. Vater MüllerPMüller, Johannes, 1864–1949, dt. Theologe und Lebensreformer, Vater von Maina Bachmann, gründete 1903 die Pflegestätte persönlichen Lebens auf Schloss Mainberg, ab 1916 Schloss Elmau, verh. mit Irene Müller hat das letzte grüne HeftIBlätter zur Pflege persönlichen Lebens, Zeitschrift an die Adresse MainasPBachmann, Maina, 1902–1996, Tochter von Johannes Müller, verh. mit Gerhard Bachmann geschrieben über Ehe;110Die von Johannes Müller herausgegebene Zeitschrift Grüne Blätter/Blätter zur Pflege persönlichen Lebens. dadurch ist sie wieder stark gepackt. Er hat ihr aber in vielem geholfen. Sie wäre auch zur Analyse bereit, fehlen aber Geld und Zeit. Er scheint sogar an die Möglichkeit der Heirat zu denken, erwähnt, dass er vom nächsten Frühjahr ab durch Graphologie ziemlich viel verdienen wird; doch sind die inneren Beziehungen noch ganz in ungewisser Entwicklung. GerhardPBachmann, Gerhard, Arzt, verh. mit Maina Bachmann wollte zwar nicht eifersüchtig auf ihn sein, war aber doch immer kühl und zuweilen verstimmt. Wir verstehen unspOriginal und. schnell und gut, weil er offen und klar spricht. Er war bei meinem Vortrag, diese „rein mathematische Philosophie“ ist ihm aber sehr fremd; hat bei HeideggerPHeidegger, Martin, 1889–1976, dt. Philosoph promoviert!

Mittags zu MoholysPMoholy-Nagy, László, 1895–1946, ung.-am. Maler und Fotograf, bis 1929 verh. mit Lucia Moholy, ab 1932 verh. mit Sibyl Moholy-Nagy, unterr. 1923–1928 am Bauhaus, gründete 1937 in Chicago das New Bauhaus (ab 1939 Chicago School of Design)PMoholy, Lucia, 1894–1989, tschech.-brit. Fotografin, bis 1929 mit László Moholy-Nagy verh.. MoholyPMoholy-Nagy, László, 1895–1946, ung.-am. Maler und Fotograf, bis 1929 verh. mit Lucia Moholy, ab 1932 verh. mit Sibyl Moholy-Nagy, unterr. 1923–1928 am Bauhaus, gründete 1937 in Chicago das New Bauhaus (ab 1939 Chicago School of Design) seit einigen Jahren zum ersten Mal wieder gesehen. Er zeigt Korrekturbogen seines neuen BauhausbuchesIBauhaus DessauBMoholy-Nagy, László!1929@von material zu architektur, München, 1929; darin sind RaumB1922@Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre, Berlin, 1922 und Logischer AufbauB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 genannt.111Vgl. Moholy-Nagy, von material zu architektur, 194. Eine große Tabelle aller Raumarten (einfache Aufzählung), etwas spielerisch. ½ Stunde hingelegt. 🕮qIn der linken oberen Ecke der Seite, unmittelbar vor dem Text, steht (Do 24.) Nachher als ich weggehen will, kommt LuciaPMoholy, Lucia, 1894–1989, tschech.-brit. Fotografin, bis 1929 mit László Moholy-Nagy verh. mit ihrer persönlichen Sache heraus. Es ist ihr sehr schmerzlich, dass HildePRoh, Hildegard (Hilde), 1890–1945, geb. Heintze, Krankengymnastin, verh. mit Franz Roh ihr böse ist, ihr Vorwürfe macht, als habe sie sich eingedrängt. Ich sage, dass hierbei von Vorwürfen keine Rede sein könne; vielleicht sei es HildePRoh, Hildegard (Hilde), 1890–1945, geb. Heintze, Krankengymnastin, verh. mit Franz Roh zu schwer geworden,  die Eifersucht zu unterdrücken, und das äußere sich nun so. Aber man kann wenig dazu sagen, das tut mir leid. Ihr kommen die Tränen, sie nimmt sich aber tapfer zusammen und begleitet mich noch hinunter in die U Station. (Am nächsten Morgen kurzer Brief von ihr, wie sehr sie sich gefreut habe, mich wiederzusehen, sie habe es am Schluss nicht mehr sagen können.)

4h zu Gertrud CloosPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel, nette Wohnung VoßbergstraßeLBerlin!Voßbergstraße 6. Beim Tee ist der Bildhauer Carsten KühlPKühl, Carsten Wilhelm, 1887-1964, dt. Bildhauer (wie unser kühl!) dabei, der dort wohnt. Abends kommt der lebhafte, 12‑jährige Reinhard, der da sein eigenes Zimmer hat, mit lauten Illustrierten-Titelblättern beklebt. GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel zeigt mir Brief von 434 MartinPVogel, Martin, verh. mit Gertrud Vogel; er redet sie mit „Sie“ an! Er sagt, dass er LisaPVogel, Lisa, Tochter von Gertrud Vogel in eine Schule BurgLDöse!Schule Burg …ens bei DöseLDöse (?) an der ElbeLElbe gebracht habe, wo sie in zwei Jahren außer den theoretischen Unterrichtsfächern hauptsächlich Haushalt und später Säuglingspflege lerne. GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel bezweifelt, ob LisasPVogel, Lisa, Tochter von Gertrud Vogel Neigungen wirklich so auf das Praktische gingen. Sie schenkt mir großes Foto von LisaPVogel, Lisa, Tochter von Gertrud Vogel. Auf der Straße Zeitung studiert, nach langem Schwanken das schwierige Stück beschlossen. In der Küche zusammen gegessen. Sie erzählt, dass sie ein Kind erwartet, im 2. Monat. Sie wünschte sich so sehr eins, meint aber, alle Leute würden es verrückt finden, sich eigens eines anzuschaffen. Zum Lessing-TheaterLBerlin!Lessing-Theater, vom Potsdamer PlatzLBerlin!Potsdamer Platz im Auto, „Cyankali“, von Friedrich WolfPWolf, Friedrich, 1888-1953, dt. Arzt, dem Naturarzt; gegen § 218 (Abtreibung).112Der § 218 des StGB stellte Abtreibung unter Strafe, wogegen sich das Stück von Friedrich Wolf wendet. GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel erzählt mir von ihren eigenen schlimmen Erlebnissen. Auto zum Potsdamer PlatzLBerlin!Potsdamer Platz, Konditorei „Tschechow“LBerlin!Konditorei „Tschechow“. Wir schreiben zusammen Brief an LisaPVogel, Lisa, Tochter von Gertrud Vogel. GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel wird Weihnachten LisaPVogel, Lisa, Tochter von Gertrud Vogel bei 🕮rIn der linken oberen Ecke der Seite, unmittelbar vor dem Text, steht (Do 24.) sich haben. Dann im Januar nach JessenLJessen bei WittenbergLWittenberg ziehen, zu Walter Kölliker113Original Köllecke.PKölliker, Walter, 1898-1938, Gärtner und Redakteur. Sie will sich 10.000 M pumpen und ihm ins Geschäft geben, um Mitarbeiter auszuzahlen; will dann im Büro arbeiten, außerdem Pension aufmachen für Leute, die mithelfen (Doktor KünkelPKünkel, Fritz, 1889-1956, dt.-am. Psychologe soll sie ihr schicken). Sie werden nicht im selben Haus wohnen. Sie meint, es wird ihr gut tun, mal aus der Großstadt heraus; allerdings auf die Dauer wird sie sie entbehren. Sie ist in der kommunistischen ParteiIKommunistische Partei Deutschlands tätig; bereitet sich innerlich und äußerlich auf proletarisches Leben vor. „Zum Abschied von BerlinLBerlin“ wird nochmal Auto gefahren, ich bringe sie nach Hause. Ich bin 1h zu Hause. 🕮