11Tagebuch [2] 22. XII. 1914 – 2. V. 1915 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 18. II. 1915

Infanterie liegen mit uns im QuartierLZwinin!Quartier, wir beneiden sie um die gute Verpflegung, täglich warmes Essen und außerdem eine Gulaschbüchse, österreichischer Zucker-Kaffee, Honigbonbons usw.; sie schenken uns 2; einer probiert Skilaufen usw. Nachmittags kommt plötzlich ThiloPThilo, Soldat: Sofort fertig machen zum Schützengraben. Rucksack kräftig erleichtert, weißes Bündel unten gelassen. Wir müssen Skier mitnehmen, um als Patrouille zu untersuchen, ob die russischen Gräben wirklich geräumt sind. Um 4h los. Auf den ersten Hügel; deutsches MG. Hinunter, kräftiges Feuer, einige Zeit im Wald in Deckung gelegen. Zweimal über freie Flächen, immer einzeln im Dauerlauf; auf jeden Einzelnen wird geschossen, niemand getroffen. LorenzPLorenz, Soldat begegnet uns mit Meldung: 3 Leichtverwundete, 1 schwere Verwundung: RohdePRohde, †1915, Soldat mit Gehirnschuss. 🕮 Dann begegnet uns BelgardtPBelgardt, Dr., Sanitätsunteroffizier, den Arm in der Binde; betrübt, weil noch keinen Schuss abgegeben. Will nach MünchenLMünchen fahren, auf Wiedersehen in 3 Wochen. Da die Russen heftig feu­207ern ist Patrouille überflüssig, wir lassen die Skier im Tal. Schon dunkel, letzter Anstieg, wir werden heiß und nass; oben Vorsicht, dass wir die schönen Unterstände nicht eintreten. Deren Dach ist aus Tannenzweigen mit Heu und Erde bedeckt, dem Erdboden gleich. Alles zur Besichtigung in den Graben gekrochen. DienersPDiener, Soldat Korporalschaft zieht hinab und schleppt den schwer verwundeten RohdePRohde, †1915, Soldat mit. Der Leutnant: „Da haben mir die Schweine meinen besten Schützen abgeschossen.“ Posten werden aufgestellt und Schanzarbeit verteilt. Ich revidiere 9 – 10, greife auch selbst zur Picke. Wecke dann die Nächsten und instruiere. ½ 11 schlafen gelegt, mit HirschfeldPHirschfeld, Soldat, SeifertPSeifert, Soldat und 3 andern. Wirklich gemütlich und warm. Nach einiger Zeit bekomme ich Schüttelfrost, das zappelt immer durch von oben bis unten, sehr ungemütlich. Ich vermute Influenza, deshalb nicht dicht an die andern gelegt. Endlich bin ich eingeschlafen. Um 1 durch Infanteriesoldaten geweckt, die uns ablösen, die Verstärkung der 43er. Wir wären lieber diese Nacht noch oben geblieben. Also zusammen gepackt, einen Skistock aus dem Schützengraben geholt. Fühle mich sehr schlapp, liege mit Rucksack und Karabiner wartend. Beschwerlicher Abmarsch, starke Leibschmerzen. Unten müssen wir noch die Skier nehmen. Es geht schwer. Links, wo der Berg flacher ist, hinüber, hinab ins Dorf. Zuweilen jagt uns eine Leuchtkugel der Russen nach: Kolossal helles grünes Licht, lange leuchtend, die Russen treffen aber niemand. Im DorfLPohar ein paar Mal ausgeruht. Vor dem FeldwebelhausLPohar!Feldwebelhaus an die Straße gesetzt und geruht; dann ins QuartierLPohar!Quartier, vollständig besetzt; schlage mich dicht an die Tür vor den Ofen und schlafe.