5Tagebuch 7. VII. 1912 – 13. VIII. 1912 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mi 31. VII. 1912

Um 7h auf. Gemeinsames Kaffeetrinken, die Jungens fort, um ihre Wagenbremse machen zu lassen. Ich will noch etwas bleiben. Wir wollen etwas EichendorffPEichendorff, Joseph von, 1788-1857, dt. Dichter lesen. Lieber draußen. Sie nimmt Strümpfe zum Stopfen mit. Sie: „Unter dem Apfelbaum.“ NenaPSchöndube, Clothilde, *1904, auch Nena, Schwester von Elisabeth Carnap!? Lieber in den WaldLWiesneck!Wald. Sie schlägt die Bank vor. Blick übers DreisamtalLDreisamtal. Ich suche im TaugenichtsBEichendorff, Joseph von!1826@Aus dem Leben eines Taugenichts, Berlin, 1826.17Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts. Siehe LL . Dann lese ich von da, \(⟨\)wo ihn wieder die alte Reiselust packt, „nach ItalienLItalien!“. Der grobe Bauer. Durch den Wald, am Abend ins Dorf. Zum Tanz aufgespielt. Mädel mit der Rose. Der betrunkene Barbier überschlage ich. Die Räuber; er hängt auf dem Baum. Sie holen ihn runter. Ich erzähle kurz, dass er mit denen dann nach ItalienLItalien kommt.\(⟩\)18Der Inhalt der spitzen Klammern umreißt die Lektüre aus dem Taugenichts. Sind wir nicht auch rechte Tauge­nixe? Wir müssten einen Bund machen von rechten Tunichts. Ja, wir 2 müssen einen Bund schließen, Blutsfreundschaft machen. Weißt du‚ 🕮 wie man das macht? „Ja, mit einer Freundin.“ Hast Du etwas Scharfes. „Nein.“ Also mein stumpfer marokkanischer Dolch. „Nicht in den Finger, sondern in den Arm.“ Sie reicht ihren rechten Arm. Ich ziehe mit der krummen Spitze einen Schnitt, immer wieder, fest hinein. Sie ist tapfer und hilft die Haut halten, bis Blut kommt. Das küss ich ab. Dann schneidet sie in meinen linken. Ich soll helfen. Ich halte das Messer zum Schein mit fest. „Fe­ster schneiden!“Meine Wunde wurde nicht so tief. Sie nimmt mein Blut. – Mir saust’s durch den Kopf: Jetzt Mut, entscheiden! Lieber Schluss als Ungewissheit oder Halbes. Jetzt einmal stark sein, nicht leicht – Genuss – zufrieden. Atemholen. „So, jetzt müssen wir uns auch küssen.“ Sie gibt ihr Gesicht und lässt sich küssen. Nochmal. Ordentlich. Umschlungen, Kopf auf meiner Schulter. Sie fragt: „Schenkst du mir so viel Vertrauen?“Ich bin erstaunt. Ich ihr?, denk ich. „Ja, schenkst du mir denn so viel?“Wir 124 küssen uns wieder. Sie lehnt an mir. Oh, wir zwei. – Ich bekomme plötzlich furchtbare Angst. Ich sage es. „Ich muss es dir offen sagen.“ „Ja.“ Pause. „Hast du an Heirat oder so etwas gedacht? Ich habe da nämlich überhaupt nicht dran gedacht.“ „Es war so im Hintergrund?“(Ich weiß nicht mehr genau.) Ich sage ihr die Selbstvorwürfe, die ich mir mache, dass ich ihr jetzt so weh tun muss. „Schon bei einem Mädel nennt man’s gemein, wenn sie einem mehr Hoffnung machen macht, als sie erfüllen will.“ – „Du hast eben nicht gewusst, was ich für ein Taugenichts bin. – Manchmal müsste man vielleicht doch „vernünftig“ sein. Ich bin einfach immer so in heller Freude gekommen, und nun muss ich dir so weh tun.“ – ?? – „JuttaPLietz, Jutta, 1888–1975, verh. mit Hermann Lietz, Tochter von Georg und Bertha von Petersenn, du weißt, sie war mehrmals verlobt, sagte mir mal, man sollte nicht zu viel Liebe umsonst verschwenden \(⟨\)?\(⟩\), man hat sonst hinterher nicht mehr die ursprüngliche frische Kraft.“ Meinst du, es wäre dir besser, wir gingen auseinander? Oder können wir doch als gute Freunde die Wanderung zusammen machen.“ „Wir wollen’s versuchen.“ Wenn’s nicht geht, fahr ich dann sofort zurück.“ –– – Ich glaube, sie hat auch mal irgend so was gesagt, dass sie mich „mächtig gern“ hat, oder so. Wir erzählen uns alles; ich ihr von HueckPHueck, Hermann, 1891-1970, Chirurg, Mitglied der Dt. Akad. Freischar; dann sie: „Dann muss ich dir auch gestehen; ich glaubte, du hättest LottePFrankenberger, Lotte, 1893–1934, geb. von Baußnern, Schwester von Walther und Friedrich von Baußnern, heiratete 1918 Julius Frankenberger lieber. Als ich mit TedjePWestphalen, Tedje, †1915, cand. chem., Mitglied der Freischar Freiburg und du mit LottePFrankenberger, Lotte, 1893–1934, geb. von Baußnern, Schwester von Walther und Friedrich von Baußnern, heiratete 1918 Julius Frankenberger zum FreischarfestIFreischar von HirschsprungLHirschsprung herunterkam, sagte ich zu TedjePWestphalen, Tedje, †1915, cand. chem., Mitglied der Freischar Freiburg: „Der CP hat die LottePFrankenberger, Lotte, 1893–1934, geb. von Baußnern, Schwester von Walther und Friedrich von Baußnern, heiratete 1918 Julius Frankenberger wohl sehr gern.“ Da sagte der: „Der hat die Mädchen – überhaupt gern.“ … „Was hast du gemeint, als HueckPHueck, Hermann, 1891-1970, Chirurg, Mitglied der Dt. Akad. Freischar mich dir nicht geben wollte beim Tanz?“„Ich weiß nicht mehr. Ich dachte: HueckPHueck, Hermann, 1891-1970, Chirurg, Mitglied der Dt. Akad. Freischar hält sie eben fest. Aber nein, er sagte ja, du solltest wählen. Da dachte ich, du na, dann hat sie eben gewählt. Überhaupt kam mir da schon 🕮 der Gedanke, dich irgendmal ganz offen zu fragen, ob du einen andern FreischärlerIFreischar lieber hättest als mich. Ich hätte dann die Wanderung nicht mitgemacht. Aber ich hatte immer Angst, mir dann dadurch, nach negativer Entscheidung, diese ganze schöne Wanderung also zu zerstören.“ …Sie: „GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel fragte mich mal listig: Wen magst du eigentlich am liebsten von den FreischärlernIFreischar. Da sagte ich: Ich weiß nicht recht; GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe ist ein netter Mensch \(⟨\)hat sie das gesagt?\(⟩\). Wen findest du denn am nettesten? Darauf GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel: Oh, vielleicht \(⟨\)?\(⟩\) den CP. Ich, Erstaunen markierend: So, meinst du. Da lachte sie. Wenn ich ihr nun Adieu sage, werd’ ich sicher in Verlegenheit kommen.“ [Am andern Tag hat sie mir erzählt: „Als ich von GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel wegging, nahm sie meine beiden Hände, dass ich ihr nicht weglaufe, und sah mir nur in die Augen. Ich wollte aber nichts merken lassen. GertrudPVogel, Gertrud, geb. Cloos, auch Vögelchen, Schwester von Ernst und Hans Cloos, verh. mit Martin Vogel lachte aber.“] Noch viel geschwätzt. Dann hinab, Äpfel gepflückt. Ihr den EichendorffPEichendorff, Joseph von, 1788-1857, dt. DichterBEichendorff, Joseph von!1826@Aus dem Leben eines Taugenichts, Berlin, 1826 geschenkt („auf der Bank im Wald, 31. VII.“) zu KiechlesPKiechles, Familie125 Fahrplan für den andern Tag studiert. Ich werd’ wohl abends nicht mit Packen fertig, darum will ich nicht um 5 mitfahren, sondern erst um 11. In 8 Minuten zum BahnhofLBuchenbach!Bahnhof Himmelreich gerannt. Dort froh und gehoben im weißen Anzug mit Nelken vor auf dem BahnsteigLWiesneck!Bahnsteig spaziert. Im Zug \(⟨\)Alle meine Gedanken …\(⟩\)19Die spitzen Klammern beziehen sich wohl wie oben auf (nicht näher zu identifizierende) Lektüre Carnaps (während der Zugfahrt). 1138 nach FreiburgLFreiburg. NqPNq, Fräulein nicht zu Hause. BaumgartensPBaumgartens. Zu Mittag bei FrankesPFranke, Gustav, 1878-1959, Arzt, Mitglied der Akademischen Freischar FreiburgPFranke, Mala, verh. mit Gustav Franke, mit WiebelPWiebel und Lotte EhrenbergPEhrenberg, Lotte. FrankesPFranke, Gustav, 1878-1959, Arzt, Mitglied der Akademischen Freischar FreiburgPFranke, Mala, verh. mit Gustav Franke kommen leider nicht mit zum BodenseeLBodensee. Also muss ChaPCarnap, Elisabeth, 1895–1987, auch Cha oder Chacha, Grafologin, Tochter von Luisa und Heinrich Schöndube, von 1917 bis 1929 verh. mit Rudolf Carnap zu ihrem Kummer doch als einziges Mädel mit. Exmatrikulation. Abschied bei Fräulein NqPNq, Fräulein. „Vielleicht komme ich noch einen Tag nach FreiburgLFreiburg.“ Ich schreibe ihr in den TaugenichtsBEichendorff, Joseph von!1826@Aus dem Leben eines Taugenichts, Berlin, 1826: „Till minne på två glädjefulla svenska-italienska semester av Er RC.“‚20Schwedisch: „Zur Erinnerung an zwei freudebringende schwedisch-italienische Semester von Ihrem RC.“ichohne ihre Hülfe, mit Anstrengung. Nach GünterstalLGünterstal. Paket an SchmidtPSchmidt, Erich, 1890-1958, heiratete 1916 Martha Freund, Jenaer Freistudentenschaft und Mitglied des Serakreises: EichendorffPEichendorff, Joseph von, 1788-1857, dt. Dichter, Strümpfe. Gepackt für die Wanderung, für RonsdorfLRonsdorf, für JenaLJena. Schnell umgezogen, nicht mehr gegessen. Um 9 Uhr zu Fräulein TeresPTeres, Fräulein: „Erschrecken sie nicht, ich fahr schon heut Abend. Ich schreibe alles in einem Brief.“ Maria BidlingmaierPBidlingmaier, Maria, 1882-1917, dt. Sozialwiss., Schwester von Hanna Bidlingmaier kommt noch rauf, HannaPBidlingmaier, Hanna, 1885-1971, verh. Gräter, dt. Ärztin, Schw. von Maria Bidlingmaier ist bei SchlacklPGutermann, Rudolf, 1890-1963, gen. Schlackl, Mediziner, Freiburger Freischar, Lehrer am DLEH Gaienhofen. Schleuniger Abschied. Zur Elektrischen. 943 „nach ins Himmelreich“.LBuchenbach!Bahnhof Himmelreich Alles schläft. TedjePWestphalen, Tedje, †1915, cand. chem., Mitglied der Freischar Freiburg ist seit Nachmittag da. Durchs Esszimmerfenster. An einen Stuhl gestoßen. In der Küche etwas gegessen. Hinauf. Nur TedjePWestphalen, Tedje, †1915, cand. chem., Mitglied der Freischar Freiburg erwacht, erschrickt. Ich schlafe auch auf der Galerie. Morgens Erstaunen aller. 🕮

VIII / 1912