Liebe TillyPNeovius, Tilly (eig. Mathilde), 1890–1975, Schwedin, die Carnap vermutlich 1911 auf Schloss Mainberg kennenlernte! FreiburgLFreiburg, i. B.LBreisgau 25. II. 12.
Habe vielen Dank für Deine Karte, mit der Du mir eine große Freude gemacht hast. Ich war ganz stolz, dass ich sie ohne Lexikon verstanden. Aber ich habe Dich im Verdachte, dass Du Dir Mühe gegeben hast, möglichst einfach und verständlich zu schreiben. – Es hat mir solche Freude gemacht; ich möchte Dich bitten, immer auf Schwedisch zu schreiben.
Nun höre einmal, was man mir für die 2 Monate Osterferien, die bei uns 2 Monate dauern, für eine große Freude gemacht hat. Du weißt wohl, dass ich furchtbar gern Reisen mache. Aber nicht möglichst bequem; im Gegenteil, je interessanter und abenteuerlicher, um so besser . Ich hatte nun geplant, im März mit einem Freund aus der FreischarIFreischar den NeckarLNeckar und dann den RheinLRhein bis BonnLBonn, wo der Freund wohnt, oder KölnLKöln hinabzufahren. Und zwar in einem kanadischen „Canoe“. Vielleicht kennst Du die aus EnglandLEngland. Es sind ganz lange, schmale Boote, so leicht, dass man sie tragen kann, die einseitig gerudert werden. Die sind sehr fein für längere 99 Wanderfahrten. Im RheinlandLRheinland wollte ich dann meine Verwandten besuchen und um Ostern 2 Wochen nach MainbergLMainbergIPflegestätte/Freistätte persönlichen Lebens, Schloss Mainberg/Schloss Elmau gehen. Das Boot hätte ich vielleicht vom RheinLRhein nach BambergLBamberg geschickt, um dann im April noch eine MainfahrtLMain zu machen. Zum Glück habe ich das Boot einstweilen noch nicht bestellt. Denn diese Pläne sind, wenigstens für diese Ferien, plötzlich umgestürzt worden. Ich bekam nämlich plötzlich einen Brief von MutterPCarnap, Anna, 1852-1924, Tochter von Friedrich Wilhelm Dörpfeld, heiratete 1887 Johannes Sebulon Carnap, Mutter von Rudolf Carnap und Agnes Kaufmann, dass mein älterer Bruder mit Frau und TochterPCarnap, Joseph Johannes, 1863–1936, Johannes genannt, dt. Bandfabrikant, Halbbruder von Rudolf Carnap, in zweiter Ehe verh. mit Gertrud CarnapPCarnap, Gertrud, 1870-1947, geb. Mannesmann, zweite Frau von Joseph Johannes Carnap, Tochter von Reinhard Mannesmann (1814-1894, dt. Fabrikant)PWiebalck, Elisabeth, 1889-1970, geb. Carnap, Lies genannt, Konzertsängerin, Tochter aus erster Ehe von Joseph Johannes Carnap, heiratete 1914 Otto Wiebalck für 2 Monate nach MarokkoLMarokko reist und sie gefragt hat, ob ich nicht mitdürfte.35Vgl. Anna Carnap an Carnap, 9. II. 1912 (RC 025‑11‑05) sowie TB 6. III. 1912R. Sie schrieb mir die Gründe für und gegen, sagte aber, sie wolle ihre mütterlichen Besorgnisse ganz zurückstellen und mich entscheiden lassen. Infolge meiner Schlingen in in der Leitung dauerte das nun einen ganzen Tag; dann hatte ich mich endlich alle Bedenken überwunden und mich entschlossen, mitzureisen. Nun denke Dir nur, wie fein das werden wird, da durchs Land zu reisen! Auch auf die Seefahrt freue ich mich schon mächtig. Und mein Freund GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe von hier, der kein FreischärlerIFreischar ist, es aber vielleicht mal wird, reist auch mit. Ist das nicht fein? Ich glaube, ich habe Dir noch nicht von ihm erzählt. Er wohnt in GünterstalLGünterstal, einem reizend gelegenen \(_{63}\)🕮\(_{64}\) Dorf in der Nähe, wo ich im Sommer auch hinziehen werde, und FriedrichPRohden, Friedrich von, 1886–1973, Arzt, Sohn von Gustav von Rohden, Mitglied der Freischar Freiburg, heiratete 1914 Marianne von Rohden auch. Da hat GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe aber nicht ein möbliertes Zimmer gemietet, sondern eine alte HolzhütteLGünterstal!Holzhütte, die Waldarbeitern zum Unterschlupf diente. Sie besteht nur aus einem großen Raum und dem Heuboden darüber, und war schmutzig und in entsetzlichem Zustande, einfach unbewohnbar. Da hat er sie im vorigen Sommer gründlich gereinigt, selbst angestrichen und etwas bemalt, einen Balkon davor bauen lassen und ganz famos eingerichtet. Sehr einfach, aber sehr geschmackvoll. Z. B. alte Schwarzwälder Stühle, die er bei einem Bauern gefunden hat; Schwarzwälder Porzellan mit den bunten Bauernmustern bemalt usw. Als es nun Winter wurde, waren die Bretterwände natürlich zu dünn. Da hat er innen eine zweite Bretterwand in handbreitem Abstand vor alle Wände gezimmert und den Zwischenraum mit Sägespänen ausgefüllt. In der Freiburger Brockensammlung36Offenbar eine Art Flohmarkt. hat er billig einen schönen alten eisernen Ofen erstanden und hat’s jetzt immer sehr warm und gemütlich. Man fühlt sich überhaupt immer so wohl in seiner Hütte, wenn man ihn besucht. Er hatte auch einen schönen, tüchtigen Wolfshund, dessen Hütte draußen neben der Haustür stand. Für ihn hatte GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe ein Verbindungsloch in die aneinanderstoßenden Wände von seiner und des Hundes Hütte gesägt, sodass „Hünning“ 100 immer frei heraus- und hereinspazieren konnte. Nun hat er ihn leider neulich wegen Krankheit erschießen lassen müssen. –eine Krankheit des Hundes par Etwas Genaueres über die Reise weiß ich nun noch gar nicht. Ich habe nur gehört, dass wir zuerst die Brüder meiner SchwägerinPCarnap, Gertrud, 1870-1947, geb. Mannesmann, zweite Frau von Joseph Johannes Carnap, Tochter von Reinhard Mannesmann (1814-1894, dt. Fabrikant)37Gertrud Helene Carnap. („Schwippschwäger“ nennt man das bei uns) besuchen wollen, die bei CasablancaLCasablanca, also an der atlantischen KüsteLAtlantische Küste, ein Gut haben.38Vgl. TB 7. IV. 1912R. Sie haben auch sonst noch Besitzungen im Lande und kennen da die Verhältnisse, wie man da reisen muss usw. Da bleiben wir, bis wir mit ihrer Hülfe eine Karawane ausgerüstet haben; dann soll’s wohl ein wenig ins Innere gehen. Ich hoffe das sehr, denn das wird erst recht interessant. Jetzt mache ich mit GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe zusammen die Reisevorbereitungen. Dazu gehört auch der Zahnarzt, damit einem unterwegs nichts passiert. Und dann trainieren wir uns noch im Reiten. Denn in MarokkoLMarokko reitet man in den Karawanen nicht auf Kamelen, \(_{64}\)🕮\(_{65}\) wie wir des Interesses wegen wünschten, sondern auf Pferden. und dann besprechen wir immer zusammen, wasund ich weiß nicht was alles mitnehmen.
Da nun mein BruderPCarnap, Joseph Johannes, 1863–1936, Johannes genannt, dt. Bandfabrikant, Halbbruder von Rudolf Carnap, in zweiter Ehe verh. mit Gertrud Carnap leider an Influenza erkrankt ist, werden wir auf keinen Fall vor Anfang März abreisen können. Mein Zimmer hier habe ich nur bis zum 29. II. gemietet. Von da ab werde ich dann draußen bei GarthePGarthe, Otto, 1890–1948, von 1919–1924 Schularzt und Biologielehrer in Wickersdorf, verh. mit Margarethe Garthe wohnen, in seinem „Spatzennest“, so hat er sein Heim getauft.
Anfang Mai werden wir dann mit einiger Verspätung das Semester beginnen.39Das Sommersemester 1912 begann an der Universität Freiburg am 15. April, die Vorlesungen begannen in der Regel eine Woche später. Carnap reiste am 6. 3. 1912 von Freiburg ab und kehrte erst am 18. 5. 1912 von seiner Marokkoreise nach Freiburg zurück, versäumte also den Beginn des Sommersemesters. – Aber nach MainbergLMainbergIPflegestätte/Freistätte persönlichen Lebens, Schloss Mainberg/Schloss Elmau muss ich doch noch mal in diesem Jahr. – Den Gedanken werde ich nicht los. Seit ich es verlassen habe, übt es eine solche Anziehungskraft auf mich aus.40Carnap war vermutlich im Sommer 1911 in Mainberg. Als ich da war, hast Du davon bei mir wohl nichts gemerkt; denn ich glaube, damals habe ich es selbst nicht so gemerkt. Aber jetzt denk’ ich immer: Wann kann ich wohl mal wieder hin? Vielleicht Pfingsten, oder in unseren Sommerferien , die von August bis Okt. dauern. Wirst Du auch in diesem Jahr wieder einmal hingehen? —101