Also jetzt wollen wir mal etwas in den WaldLFreiburg!Wald laufen. Ich will Dir dabei von unserer VogesenLVogesen-Fahrterzählen. Wenn Du aber heut’ keine Lust hast, können wir ja ein andermal gehen. Mit anderen Worten: Du kannst diese Seiten im Brief überschlagen, wenn’s Dich jetzt nicht interessiert, vielleicht liest Du’s dann ein andermal.
Vor einer Woche haben wir die FahrtO[Vogesenfahrt] gemacht; 5 Tage, von denen FriedrichPRohden, Friedrich von, 1886–1973, Arzt, Sohn von Gustav von Rohden, Mitglied der Freischar Freiburg, heiratete 1914 Marianne von Rohden leider nur einen mitmachen konnte, wegen der Anstrengung und des schlechten Wetters. Das fing nämlich schon gleich bei Beginn der Wanderung an. Von FreiburgLFreiburg fährt man hier quer durch die RheinebeneLRheinebene und ist in ein paar Stunden mitten in den VogesenLVogesen, deren südlichen Teil wir sehen wollten. Während des ersten Tags Dann gingen wir, d. h. noch 4 andere FreischärlerIFreischar, zuerst auf die deutsch-französische GrenzeLDeutsch-französische Grenze los, die dort gerade auf dem höchsten GebirgskammLGebirgskamm entlangläuft, und dann immer über den Kamm nach Süden, mit dem linken Bein im Vaterland, mit dem rechten im Ausland. Obwohl meist Regen und Nebel war, haben wir doch sehr viel Freude gehabt. Die Berge da sind ihrer Höhe und auch ihrer Gestalt nach großartiger, als im deutschen MittelgebirgeLDeutsches Mittelgebirge, das Du ja in an verschiedenen Stellen gesehen hast. Und dann trafen wir oft so herrlichen bunten Herbstwald. Manchmal hellte sich auch das Wetter für kurze Zeit auf, und 79 wir sahen die RheinebeneLRheinebene unten liegen und dahinter die Silhouette unseres SchwarzwaldesLSchwarzwald. Ein paar Mal war auch der Blick in die Alpen frei, und wir sahen \(_{4}\)🕮\(_{5}\) eine Reihe von hohen weißen Gipfeln, bis in die ZentralalpenLZentralalpen hinaus. Es war so fein, dass wir uns vorgenommen haben, im Winter bei schönem klarem Schneewetter wieder hinzugehen, um Ski zu laufen. – Die Häuser stehen da oben recht spärlich, sodass wir gegen 4 Uhr immer schon anfangen mussten, Quartier zu suchen, da es um 5 dunkel wurde. So hatten wir nur sehr wenig Zeit zum Wandern. Deshalb machten wir keine Mittagspausen, sondern aßen morgens reichlich warm und reichlich. Leute gibt’s da oben noch weniger als Häuser. Einmal haben wir 2 Tage und Nächte lang keinen Menschen gesehen. Wir übernachteten in den „Fermen“LVogesen!Fermen, das sind die Gehöfte, die aus großem Kuhstall mit Heuboden darüber und einigen kleinen Wohnräumen bestehen. Die hoch gelegenen FermenLVogesen!Fermen werden nämlich im Herbst von Mensch und Vieh verlassen. Die Wohnräume waren manchmal auf, oder es gelang uns, durch ein Fenster einzudringen; sonst mussten wir im Heuboden übernachten. Wenn wir dann in der einige Male hatten Gewöhnlich fanden wir Öfen dort und eine Menge Brennholz. Wenn wir dann in der Abenddämmerung nass und hungrig ankamen, hingen wir unsere nassen Sachen um den Ofen. Wer Lust hatte, nahm draußen noch ein kurzes Luftbad draußen. Dann holten wir aus unseren Rucksäcken trockene Sachen hervor und wärmten uns. Ferner hatten wir Sprituskocher bei uns und alle möglichen Sachen, um den Hunger zu stillen. Dann Das meiste Glück im Quartierfinden haben wir nach unserem schlimmsten Tag gehabt. Die Berge und Wälder sahen zwar gerade an dem Tag ganz herrlich aus. Aber bei dem Regen und Sturm hatten wir schon nach ein paar Stunden genug und kehrten wieder waren froh, ein gutes Obdach zu finden. Denk Dir nur, einer von den Studenten, er ist etwas älter und schon verheiratet‚2Gustav Franke. hatte statt Mantel oder so etwas einen Schirm mitgenommen. Doch an diesem Tage schnallte er ihn, bevor wir überhaupt ausrückten, auf den Rucksack. Wie nass er geworden ist, kannst Du Dir vorstellen. Nachher diktierte er mir ins \(_{5}\)🕮\(_{6}\) Freischar-„Fahrtenbuch“IFreischar als Wetterangabe für den Tag: „Starker Regen und welscher3Veraltet für französisch. Orkan, es fehlen die Worte.“ In der letzten Nacht bekam er auch etwas Schüttelfrost fühlte sich aber tagsüber immer äußerst wohl. Jetzt liegt der arme Kerl hier in der KlinikLFreiburg!Klinik; Influenza, Nierengeschichte. In ein paar Tagen will er aber wieder aufstehen. Was 80 wir an dem Tag für gewaltigen Spaß hatten, als wir da eine herrliche Bude fanden, musst Du Dir mal ausmalen. Wir fanden da einen großen Kamin, noch viel größer als in MainbergLMainbergIPflegestätte/Freistätte persönlichen Lebens, Schloss Mainberg/Schloss Elmau, in dem wir schließlich gewaltige Baumklötze zum Brennen kriegten. Da hausten wir dann während der Dämmerung den und das lange abends furchtbar gemütlich zusammen. Da saßen wir um das Feuer herum und schwatzten oder auch nicht; dann sangen wir mal was und ein guter Gitarrenspieler zupfte dazu (die Zupfgeige hatte das Wetter bewundernswert statthaft vertragen). Dazu schlemmten wir in kulinarischen Hochgenüssen, als da sind: Schokoladenreis oder Grieß mit Aprikosen, dann Butterbrote mit Tee oder Kakao. Währenddessen sorgten wir immer dafür, dass alle unsere Sachen der Reihe nach zum Trocknen kamen; dies gelang uns merkwürdigerweise so gut, dass in die meisten Sachen nicht einmal Löcher hineinbrannten (mit Ausnahme von 2 Mänteln und einem Hemd, das plötzlich in Flammen aufging, aber noch in zusammenhängender Gestalt gerettet wurde). Dazu lasen wir uns auch mal was vor; dann lernten wir von uns gegenseitig neue Lieder usw. Kurz, wir lebten da oben wie die Fürsten und kultivierten uns geradezu zu Genussmenschen. Am anderen Tage mussten wir leider zu Tale steigen, da uns die Lebensmittel ausgingen. Da sahen wir dann wieder Menschen, beeilten uns aber, vor Abend wieder in die unbewohnten Gegenden hinaufzukommen, was uns auch noch gerade gelang. Du kannst Dir denken, wie wir über jede Kuh schimpften, die vonuns die Nähe von bewohnten FermenLVogesen!Fermen ankündigte und uns zwang, immer höher hinaufzusteigen.
Als es schon dunkel war, hatten wir dann kurze Zeit klaren Ausblick und sahen unten \(_{6}\)🕮\(_{7}\) in der RheinebeneLRheinebene die Lichter von mehreren Ortschaften schimmern. Unser stiller Wunsch, auch noch auf den großen BelchenLBelchen zu kommen, ist infolge des schlechten Wetters nicht in Erfüllung gegangen. Vielleicht stehen wir nächstens auf Skiern oben und sehen die Berge, auf denen wir jetzt waren, und den Kamm, auf dem wir entlang gelaufen sind, und RheinebeneLRheinebene, SchwarzwaldLSchwarzwald und AlpenLAlpen! Ich kann’s schon kaum erwarten, dass der Schnee endlich kommt. Und es ist doch erst Anfang November.
Abends, als wir hier ankamen, schleppte uns FrankePFranke, Gustav, 1878-1959, Arzt, Mitglied der Akademischen Freischar Freiburg, so heißt der Verheiratete, gleich alle mit, wie wir waren, in seine Wohnung. Unterwegs holten wir noch FriedrichPRohden, Friedrich von, 1886–1973, Arzt, Sohn von Gustav von Rohden, Mitglied der Freischar Freiburg, heiratete 1914 Marianne von Rohden ab und hatten dann noch einen furchtbar netten Abend. Frau FrankePFranke, Mala, verh. mit Gustav Franke ist ein feiner Mensch. Ich mag sie sehr gerne. Wir erleichterten ihr unsere Bewirtung durch die unsere übergebliebenen „Fressalien“ und eine Menge unterwegs gefundener Pilze. Während FrankesPFranke, Gustav, 1878-1959, Arzt, Mitglied der Akademischen Freischar Freiburg Abwesenheit haben seine FrauPFranke, Mala, verh. mit Gustav Franke und FriedrichPRohden, Friedrich von, 1886–1973, Arzt, Sohn von Gustav von Rohden, Mitglied der Freischar Freiburg, heiratete 1914 Marianne von Rohden sich gegenseitig in ihrer 81 Einsamkeit getröstet. Er hat ihr viel von MainbergLMainbergIPflegestätte/Freistätte persönlichen Lebens, Schloss Mainberg/Schloss Elmau und MüllerPMüller, Johannes, 1864–1949, dt. Theologe und Lebensreformer, Vater von Maina Bachmann, gründete 1903 die Pflegestätte persönlichen Lebens auf Schloss Mainberg, ab 1916 Schloss Elmau, verh. mit Irene Müller erzählt.4Der Theologe und Lebensreformer Johannes Müller betrieb seine „Pflegestätte persönlichen Lebens“ bis 1915 auf Schloss Mainberg in Unterfranken, ab 1916 auf Schloss Elmau bei Garmisch. Carnap war an beiden Orten häufiger Gast. Siehe auch die Einleitung, S. . Ich glaube sie wird mal hingehen. Sie passt sehr gut dazu.
Am anderen Morgen fing natürlich das schönste Wetter an. Aber da wir uns in unserer Laune so unabhängig vom Wetter gezeigt hatten, verlachten wir diesen lachten wir es jetzt, wo es uns höhnen wollte, aus.
Jetzt hast Du gesehen, was für famose Wanderfahrten wir FreischärlerIFreischar unternehmen. – Holla, TillyPNeovius, Tilly (eig. Mathilde), 1890–1975, Schwedin, die Carnap vermutlich 1911 auf Schloss Mainberg kennenlernte, es ist gleich ½ 1. Wir wollen mal schleunigst hier den Berg runterrennen, damit uns ja nicht die Suppe entgeht!