Wir sind nämlich vorgestern umgezogen und wohnen jetzt 3 Treppen hoch, was uns gestern abend sehr zustatten kam. Da fing nämlich plötzlich, als ich schon im Bett lag, ein Erdbeben an, und unsere Etage wackelte dermaßen, dass ich dachte, es könnte mir die Zimmerdecke auf die Nase fallen.6Vgl. Freiburger Zeitung, 17. XI. 1911, 1. Morgenausgabe, 2: „Ein Erdbeben, wie es hier seit Menschengedenken nicht erlebt wurde, rief gestern abend kurz vor ½ 11 Uhr in der Bevölkerung ungeheure Bestürzung hervor.“ Daraus, dass ich jetzt hier schreibe, kannst Du aber ersehen, dass sie es nicht getan hat. – Ob Du Dich wundern wirst, dass ich Dir einen Brief schreibe? Und gleich noch eine ellenlange Epistel.
Hast Du den Aufsatz von MüllerPMüller, Johannes, 1864–1949, dt. Theologe und Lebensreformer, Vater von Maina Bachmann, gründete 1903 die Pflegestätte persönlichen Lebens auf Schloss Mainberg, ab 1916 Schloss Elmau, verh. mit Irene MüllerBMüller, Johannes!1911@„Nicht Zurückblicken+!“, Blätter zur Pflege persönlichen Lebens 14 (3), 1911, 144-152 im letzten HeftIBlätter zur Pflege persönlichen Lebens, Zeitschrift7Die von Johannes Müller herausgegebene Zeitschrift Grüne Blätter/Blätter zur Pflege persönlichen Lebens. gelesen? Ich weiß nicht 83 mehr, \(_{9}\)🕮\(_{10}\) wie er heißt; er handelt so ungefähr von dem „Schwamm darüber!“Ich glaube, es stand der Spruch darüber: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück …8Müller, „Nicht Zurückblicken!“. Das Zitat lautet vollständig: „Wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.“
Nun musst Du wissen, dass es auf die Dauer nicht ausbleiben kann, dass Dein erinnertes Bild mir zur Salzsäule erstarrt. Und wer mag denn gerne mit toten Leichen Umgang haben? Darum ziehe ich es vor, mich alle paar Tage mit der lebendigen TillyPNeovius, Tilly (eig. Mathilde), 1890–1975, Schwedin, die Carnap vermutlich 1911 auf Schloss Mainberg kennenlernte zu unterhalten, wenn ich gerade etwas freie Zeit habe. Denn Du darfst nicht glauben, dass ich die wichtigen Stunden dazu nehme. Sondern während der Arbeitszeit freue ich mich manchmal, wenn ich daran denke, dass ich Dir nachher plötzlich begegnen kann, wenn ich will, und ein paar Minuten mit Dir gehen, um Dir was zu erzählen. Oder wenn ich von der UniversitätIUniversität Freiburg nach Hause gehe, denke ich, ob Du jetzt wohl schon auf meiner Bude sitzt, um mich zu besuchen. Und manchmal ist es dann so. Und dann setz’ ich mich an den Schreibtisch und erzähle darauf los. Und Du sitzt hinter mir am Fenster, wo man in die rot und gelben SchwarzwaldwälderLSchwarzwaldhinsieht hinsieht hinaufsieht, und musst wohl alles hören, was ich erzähle. Denn manchmal unterbrichst Du mich auch, und ich muss eine Pause im Schreiben machen und hören, was Du sagst.