Freitag und Samstag haben wir endlich mal wieder gute Musik zu hören bekommen. Freitag war nämlich ein Symphoniekonzert im Theater. Wir saßen zwar, da wir uns zu spät Karten geholt hatten, ganz oben auf der Galerie, aber die Akustik ist da sehr gut. Den ganzen Abend BeethovenPBeethoven, Ludwig van, 1770–1827, dt.-öst. Komponist. Ich hörte andere Leute sagen, das wäre ihnen zu viel. Aber ich liebe solch einen einheitlichen Abend. Von manchen anderen Komponisten würde es mir allerdings auch zu viel werden. Man spielte auch die 7. Symphonie, aus der ich besonders den mittleren Satz, den sogenannten Trauermarsch, gerne habe, mit dem herrlichen Rhythmus: , der, wenn die Melodie sich emporschwingt, immer noch von den unteren Stimmen an82gegeben wird und dem Ganzen so etwas schweres Dumpfes gibt. Unter anderem spielte dann ein Geiger noch die Romanze in G‑Dur. Ich kannte sie, weil ich sie schon mehrmals von HeinzPRohden, Heinz von, 1892–1916, Sohn von Gustav und Agnes von Rohden, Student der Theologie, Mitglied der AV Marburg gehört hatte. Ich glaube, er hat sie auch mal im Helferinnenzimmer gespielt. Sie fängt etwa an:
Samstagabend haben wir dann BurmesterPBurmester, Wilhelm, 1869-1933, dt. Violinist gehört. Er war früher in HelsingsforsLHelsingfors, ist aber Deutscher und wohl der beste Geiger, den wir haben. Er spielte unter anderem BeethovensPBeethoven, Ludwig van, 1770–1827, dt.-öst. Komponist Kreutzer-Sonate. \(_{8}\)🕮\(_{9}\) Er war so vollständig ohne jede Schauspielerei und Pose, wie man es selten sieht. Wir saßen auf dem Balkon, wo wir ihn ganz nah sehen konnten, weil FriedrichPRohden, Friedrich von, 1886–1973, Arzt, Sohn von Gustav von Rohden, Mitglied der Freischar Freiburg, heiratete 1914 Marianne von Rohden seine Hände, besonders die rechte, beobachten wollte. Da konnte ich sehen, dass auch sein Gesicht ganz kalt blieb. Wenn man ihn ansah, schien es fast, als stände er der Musik gleichgültig gegenüber. Nur wenn man nicht hinsah, wurde man ganz ergriffen und hatte unbedingt den Eindruck, als werde in diesem Moment Mom ein Kunstwerk geschaffen. Ich glaube man muss annehmen, dass die eigentliche schöpferische Tätigkeit (ich meine die BurmestersPBurmester, Wilhelm, 1869-1933, dt. Violinist, von der BeethovensPBeethoven, Ludwig van, 1770–1827, dt.-öst. Komponist spreche ich natürlich nicht) lange vorher geleistet worden ist, nämlich während der Geiger sich in das Stück einarbeitete und es übte. Jetzt bei seinem Spiel leistet er quasi nur eine (natürlich im höchsten Sinne) automatische Reproduktion, ist aber nicht mehr der „schaffende Künstler“. Es ist beinahe so, wie wenn ein Maler sein Gemälde, in das er sein Tiefstes hineingelegt hat, jetzt, lange nachdem er es fertiggestellt hat, mit kaltem Lächeln den Beschauern hinhält.