1Tagebuch 14. II. 1908 – 13. V. 1908 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 14. II. 1908

OBarmen / Wuppertal Heute Abend will ich endlich einmal meinen Vorsatz ausführen, ein Tagebuch zu schreiben. Vielleicht etwas anders, als es andere Leute tun. Ich bin ja überhaupt nicht ganz so wie alle anderen. Glücklicherweise, will ich sagen. Denn: Eine Dame brachte einmal dem GroßvaterPDörpfeld, Friedrich Wilhelm, 1824-1893, dt. Pädagoge, Vater von Anna Carnap ein Stück Stein von PestalozzisPPestalozzi, Johann Heinrich, 1746-1827, schweiz. Pädagoge GrabLPestalozzis Grab mit, auf dem nach seinem Wunsche ein eckiger Granitblock liegt.1Das Grabmal des Pädagogen und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi befindet sich in Birr in der Schweiz. „Sie sind auch solch ein Stein mit spitzen Ecken und Kanten, schrieb sie dabei, sorgen Sie, dass sie nicht abgeschliffen werden.“ Ich will auch dafür sorgen.

Der Vorsatz, ein Tagebuch zu schreiben, in dem Sinne, wie ich’s jetzt meine, mag wohl schon ein Jahr oder noch älter sein. Auch in letzter Zeit habe ich wiederholt gelesen, dass es äußerst nützlich und angenehm ist, wenn man in späteren Zeiten sehen kann, was und wie man früher gedacht hat. Deshalb sollen bei mir die Erlebnisse in den Hintergrund treten. Ich möchte gern später ein skizzenhaftes Bild von meinem Gedankenleben, besonders der Entwicklung, den Fortschritten in meinem geistigen Leben haben. Später sollen mich diese Zeilen daran erinnern, was ich für eine Welt­anschauung, was für eine Anschauung über manches Philosophische, was mir jetzt oder schon früher aufgestiegen ist, und noch über vieles andere ich gehabt habe, und wie sich alles das im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Ich habe schon vor Jahren manchmal bei kleinen Kindern beobachtet, dass sie oft allerlei denken und meinen und überlegen und philosophieren, wovon sie nichts oder nur wenig oder nur ein schattenhaftes Spiegelbild in ihren Worten dartun. Woher habe ich dann gewusst, was sie dachten. Ich weiß es nicht mehr genau, oft fielen mir meine Gedanken ein, die ich in im Kindesalter in meinem Köpfchen gedreht hatte und fast alle mit nur mit wenigen Ausnahmen wieder vergessen habe. Da dachte ich, wenn ich jetzt manches denke, ohne es zu sagen, und vergesse es dann wieder, so kann ich mir später nie ein genaueres Bild über mich selbst in früheren Jahren machen. Wie wär’s, wenn ich so etwas aufschriebe. Damals dachte ich auch, das könnte dann vielleicht von 🕮 Wert sein für die Pädagogik, wenn ich dann sehe, wie ich in jungen Jahren gedacht habe. 64 🕮