71Tagebuch 5. I. 1967 – 4. I. 1968 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 31. VII. 1967

Vormittags Pasqu. reist ab; Frau Stegmüller fährt ihn bis zur Schranke. (Ich umarme ihn wieder; dabei küsst er mich auf die Backe, und dann ich auch ihn. Er ist sehr dankbar für die schönen Tage.) – Nachmittags regnet es; wir bleiben mit Stegmüllers in der überdachten Halle sitzen. Wir haben sehr persönliche Gespräche mit Stegmüllers: ich mit ihm, Chacha mit seiner Frau. (Er erzählt jetzt, wo es dem Abschied zugeht, noch viel konkreter seine Schwierigkeiten: schlimme Angstanfälle; oft Schlaflosigkeit in der Nacht; dann rennt er noch nach Mitternacht ruhelos in den Straßen herum. Aus seiner Kindheit: Die Eltern immerzu im Zank; er bemühte sich, die Mutter gegen den gehassten Vater zu schützen; so kam eine enge Bindung zur Mutter zustande. – Chacha hat den Eindruck, dass die Frau so viel redet, um ihrer eigenen Minderwertigkeitsgefühle zu entrinnen; sie glaubt, dass Frau St. keine lebendige Sinnlichkeit hat . Ich denke: Daher ist er wohl sexuell unbefriedigt; und vielleicht daher auch die Ängste. Nachher spreche ich mit Chacha darüber. Schade, dass sie beide erst aus sich mehr herauskamen unter dem Eindruck des baldigen Abschiedes. Sie scheinen beide so dringend Aussprache zu benötigen; vielleicht, wenn ich im September wiederkomme, können wir versuchen 🕮\(Winckler)\ ihnen noch mehr zu helfen durch Gelegenheit von Aussprache.) –Stegmüllers reisen ab. – Abends ruft Hanneli an. (Sie möchte herkommen und uns nach Stockdorf fahren. Aber ich bitte sie dringend, das nicht zu tun; sie soll sich nicht aus der Erholung herausreißen durch Überanstrengung. Und wir werden ein Mietauto nehmen.)

VIII / 1967