71Tagebuch 5. I. 1967 – 4. I. 1968 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Di 11. VII. 1967

Mittags tauchen Flitners überraschend auf. (Sie haben von Hanne gehört, dass wir hofften, sie in Hamburg zu treffen nach Amrum; aber da sind sie nicht in Hamburg. So haben sie sich schnell entschlossen, für eine Woche herüberzukommen.


Vormittags gehe ich meist mit Flitners spazieren. Nachmittags nehmen wir alle zusammen Kaffee und Kuchen unter der Buche, und gehen dann meist zusammen spazieren. (Flitner berichtet mir über seine Bemühungen um Reform von Schulen und Universitäten, aber die Fachleute sind oft schwer zu Änderungen zu bewegen, und die Schulbehörden und Universitätsverwaltungen auch. – Ich erzähle ihm von der Wahrscheinlichkeitslogik, und ihrer Anwendung auf Beschlüsse, spezielle Wetten. Das alles erscheint ihnen sehr seltsam, besonders als philosophisches Problem. Ich sage, es wäre wichtig, wenn die Menschen sich gewöhnen würden, nicht einfach mit Ja und Nein zu denken, sondern ihren Glaubensgrad numerisch anzugeben; besonders wichtig für Geschworene; diese sollten wohl besser Professionelle sein; Flitner meint das auch. – Flitner weiß allerhand von Wiesen und Tieren im Walde, und unterhält sich mit Chacha über Bücher, die das schildern, z. B. von einem Waschbären, aufgezogen in einer Familie (ein englisches oder amerikanisches Buch), auch über Lorenz und dergleichen.) 🕮

Mal fahren wir einen Vormittag nach Mittenwald. (Während Hanneli noch Einkäufe macht, fahre ich mit Chacha im Sessellift zur halben Höhe. Ich hatte die Fahrzeit unterschätzt, es ist ca. 20 Min. So können wir nur in Eile zum Restaurant hinauf, einen Saft trinken, und zurück zur Bahn eilen. Dann fährt Hanneli uns nach Elmau zurück.)

Lakatostelefoniert mir, dass er am 18. um Zeit vormittags in Klais eintreffen wird. Ich schicke ihm LT (20 Pfennig pro Wort) dass Bar-Hillel am 18. an der Universität Vortrag hält über Carnap und Popper, dass ich vielleicht hingehe, und ob er nicht auch mitdiskutieren will. Er telegrafiert zurück, dass er es will.

Wir hören zuweilen abends schöne Konzerte. Ein Pianist spielt Tänze aus 4 Jahrhunderten von Scarlatti bis Bartok. Ein andermal ein Ex aus Tübingen („Amati“) ein schönes, mir gut bekanntes Quintett von Brahms, Violinsonate von Mozart.

Wir alle vermissen Franz Roh.

(Flitner hat ein unglaubliches Gedächtnis für Menschen und Ereignisse, er nennt die Freischärler und Sera Leute alle bei Namen, und weiß, welche noch leben und was aus ihnen geworden ist, und ihr Aussehen und ihre Eigentümlichkeiten; ebenso unzählige Professoren der Pädagogik, Psychologie, Philosophie und anderes, wo sie waren und wo sie jetzt sind, und über was sie geschrieben haben, wie und was. Er sagt auch manchmal, dass er eine historische Einstellung hat.) – (Lisi stellt oft sehr bestimmte Behauptungen auf, oder Werturteile über H und dergleichen. Wilhelm sagt, sie sei intellektuell sehr stark; aber ich bin sicher darüber. Zum Abschied küsst Lisi mich.) 🕮\(3 Tage Stockdorf und München)\