71Tagebuch 5. I. 1967 – 4. I. 1968 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Sa 29. IV. 1967

An meinen Erwiderungen für London gearbeitet (auf tape diktiert: Erwiderungen auf Bunge und Watkins.) – Abends 7 ½ – beinahe 10 wir mit Mia zur Party bei Dr. George Bach. Nach 7 (Abe Kaplan ist da; er wird bei der morgigen Konferenz 🕮 von Bach den Hauptvortrag halten „Ein Modell für Selbstidentität“. Er ist sehr herzlich; er erzählt von Karen, die mit ihrem Israeli Mann jetzt hier im Lande ist; Iona hat ihre Arbeit aufgegeben, besonders auch, weil sie schon im Sommer für 1 ½ Jahre nach Honululu gehen. In seinem Modell will er darstellen, dass oft ein Mensch verschiedenartige Charaktere in sich vereinigt, sodass er in gewisser Beziehung wie eine Gruppe von Personen handelt. – Frau Bach setzt sich zu mir aufs Sofa und erzählt von ihrer Studienzeit in Chicago. Zu meinem Entsetzen sind im ganzen ca. 20 Leute da; dadurch ist vom allgemeinen Sprechen ein so lautes Hintergrundgeräusch da, dass ich nicht mit zwei anderen sprechen kann, und auch bei einem nur verstehe, wenn wir unsere Köpfe ganz nahe zusammenbringen. – Nach längerer Zeit bitte ich Hanneli, Dr. Bach zu bitten, zu mir zu kommen, weil wir bald gehen wollen. Er setzt sich neben mich, spricht lebhaft, fasst mit den Händen immer an meinen Arm oder Bein oder beides; ich frage, wie er dazu kam, die Gruppentheorie zu entwickeln. Er sagt, er hat allerlei Anregungen bekommen, aber im Grunde ist es seine eigene Idee. Er ist besonders interessiert am Ursprung der Aggressivität, und besonders am Gattenmord. Er hat mit vielen Gattenmördern gesprochen; einen fragte er, warum sei er nicht lieber von seiner Frau fortgegangen, als die Beziehung so schlecht wurde; der hat ihn ganz erstaunt angeschaut und gesagt: „Fortgegangen? Nein, gewiss nicht! Ich habe sie doch so geliebt!“ So ging ihm auf, dass Aggression und Liebe sich nicht ausschließen. Ich frage ihn, ob er Freudsche Ideen verwendet. Er: Nein, das geht in eine ganz andere Richtung; man schaut immer nur in sich selbst hinein; er will umgekehrt den Menschen helfen, sich mehr den Anderen zu nähern und offen zu machen. Ich dachte: der typische Unterschied zwischen dem extroverten Bach und dem introverten Freud! Er sprach auch gar nicht von „Ambivalenz“ bei den Frauenmördern. Er möchte gern, dass Hanneli in Deutschland zu Gattenmördern in Gefängnissen spricht; er kennt in einigen Staaten führende Beamte, Staatsanwälte und so, die sollen das vermitteln. – Nachher werde ich in das kleinere Wohnzimmer oben 🕮 gebracht, das auch zum Gang und damit zum großen unteren Wohnzimmer offen ist, und bekomme eine Riesenportion Steak, und esse eifrig das leckere, gute Fleisch; einige kommen an meinen Tisch, die anscheinend auch unten mit mir gesprochen haben; ich aber kann niemanden wiedererkennen. Abe stellte mir auch zwei frühere Studenten von ihm vor). Gegen 10 fahren wir ab, bringen Abe zum Beverly Hills Hotel, wo er wohnt und wo morgen die Konferenz ist.