71Tagebuch 5. I. 1967 – 4. I. 1968 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mi 11. X. 1967

Während ich, vor Kälte zitternd, herumlaufe, wird mir erst richtig klar, dass ich doch seit Jahren beschlossen hatte, keinen Winter in Deutschland zu verbringen! (Chacha sagt, Dießen sei wärmer als hier, weil es am See liegt; aber das scheint zweifelhaft, und macht sicherlich wenig aus); dann stoße ich aus Versehen ein Glas Wasser auf dem Schreibtisch aus, und rufe Chacha zu Hilfe, die Papiere vor dem Wasser zu retten; da sagt sie: Du brauchst wegen der Augen jemanden, der ganz nahe bei Dir ist, sodass Du um Hilfe rufen kannst.) – Hanneli fährt Chacha und mich zum Wohnstift Gondrellplatz (dies ist das Mutterinstitut von Dießen. Es liegt am Rand der Stadt; nach einer Seite fangen die Häuserreihen an, nach der anderen 🕮\(Stockdorf)\ Seite sieht man flache Felder und weitherum einen Wald, aber nicht nahe genug zum Spazierengehen. Am Haus ist der Anfang der Straßenbahn Nr 9, die fährt zum Hauptbahnhof, Stachus, Marienplatz und Bogenhausen. Aber Chacha sagt, sie kann hier nicht leben; sie muss nahe zur Natur sein. Ich würde Gondrellplatz vorziehen, weil dann leichter Leute aus der Stadt, besonders von der Universität, zu mir kommen könnten; nach Dießen ist die Autofahrt von der Universität doch ¾ bis eine Stunde. Die Wohnungen sind ähnlich wie in Dießen. Aber die Loggias ragen halb aus der Hauswand hervor, und sind daher von oben mehr eingesehen als die in Dießen. Hier wird man auf die Wahlliste gleich gesetzt wenn man den Fragebogen einschickt! In Dießen erst, wenn man einen beträchtlichen Teil des ganzen Geldes eingezahlt hat. – Nachher fahren wir noch zum Nymphenburger Schloss und zu dem angefangenen Bau eines Altersheims, das ich schon mit Maue besehen hatte; wir finden aber, der Straßenlärm ist zu groß.) – Mittags mit Angermanns auf ihrer Veranda. Lini rät mir zu, doch nach Dießen zu ziehen; da würden sicher Freunde gerne im Sommer hinkommen, und im Dorfe wohnen, wo Gasthäuser und Pensionen sind. – Beim Nachmittagskaffee mit Chacha auf der Veranda. Ich sage ihr, dass ich vermutlich doch auch nach Dießen ziehen werde (da ist es ja auch für mich schön. Sie fragt, ob wir uns wohl gut vertragen werden. Ich sage: Ja; wir sind ja beide jetzt toleranter geworden. Ich erinnere sie aber auch daran, dass ich ein Einsiedler bin, und daher jetzt auch Hanneli bei mir meist allein ist.) – Abends 8 – 10 sitze ich oben bei Angermanns. (Ich sage, Christoph soll die Themen wählen. Er spricht nicht von der Dissertation. Sie fragen wie und was ich studierte. Ich erzähle einiges von Frege. Und später von meinem Diss. Vorschlag K-Z-System bei Wien und Bauch. Auf Wunsch erkläre ich etwas über induktive Logik, Popper, Lakatos ( die ja hier waren im August), Keynes; Wahrscheinlichkeit als Beziehung 🕮 zwischen 2 Sätzen; die Experimente von Suppes und Davidson, wie erratisch das induktive Denken bei Laien ist. Über Klopfer. Sie erzählen von Montenegro, wo sie im Sommer waren.)