9 ½ – 11 ich zu Feigls. (Kasperle sagt, dass Feigl auch nach retirement nicht leicht von Minnesota fortgehen wird; erstens möchten sie dann noch in ihrem Be bleiben, und zweitens haben sie ja dort jetzt viele Freunde. Annemarie kommt, (sie ist mit Flitner nach Brixlegg gefahren und hat Lisi Flitner abgeholt.) Wir nehmen herzlichen Abschied von Feigls, ich tausche auch Küsse mit Feigl. – Mit Annemarie etwas spazieren gegangen. (Sie sagt, Feigl ist ihr sympathisch; aber er ist so schüchtern und zaghaft, er wird es schwer haben. Ich sage, dass ich erst jetzt von Kasperle erfahren habe, dass Feigls Depression vor 3 Jahren wirklich ernst war. Sie meint wie Kasperle, dass man doch alle medizinischen Mittel anwenden müsse.) – Am Esstisch umarme und küsse ich Lisi Flitner. Nachmittags Kaffee auf der Veranda mit Flitners, endlich wieder Sonnenschein. Annemarie geht auf großen Spaziergang, Dann gehe ich mit Flitners auf langen Spaziergang, (die Straße vor Hotel nach Osten, und immer weiter, teils flach, teils langsam ansteigend, bis zu einer schönen Bank, von der man das Tal hinuntersieht, und die Bergketten zu beiden Seiten. – Ich frage Flitner nach seiner Weltanschauung. Er schildert übermäßig ausführlich wie sich die Welt entwickelt hat von unorganisch bis heute, wo hier 3 Menschen sitzen und sich zu verstehen bemühen. Diesem Ganzen stehen wir mit Erstaunen gegenüber, vielleicht sogar mit Ehrfurcht, und wissen keine Antwort. Ich frage mehrmals: „Was ist denn die Frage?“ Aber das bleibt unklar. Er spricht von Aristoteles und von Schellings und Hegels Versuch eines Systems. Ich sage, wir müssen aber hier klar 2 Gebiete unterscheiden: 🕮 in Stevensons Terminologie: Glauben und Haltung. Das erste handelt von Fakten und Regelmäßigkeiten; das wollten wir „Weltbild“ nennen; das zweite drückt Haltung aus, aber hier gibt es nicht Fragen und Antworten. Flitner gibt zu, dass hier seine „Frage“ nur metaphorisch gemeint ist. Wenn Hegels Dialektik gemeint ist als Welthypothese, so ist sie nicht Metaphysik (in unserem Sinne), sondern versuchsweise Wissenschaft. Aber Flitner sagt, die „Sinngebung“ der Metaphysiker war gemeint, auch als Basis der Moral zu dienen. Dann aber bezieht die sich auf Haltung, nicht Glauben. Flitner spricht hierbei nirgends von Gott; und wir kommen zu einer Art von Übereinstimmung. Aber Lisi kommt dann dazu und betont die Unterschiede; sie sagt, dass wir durch die Quantifizierung das System das Künstlerische stören; und dergleichen.) – Abends beim Essen erzählt Lisi mir über Eva Bergemann (jetzt 70 Jahre, Dr. med. in Bern, in einer Forschungsstelle, ist jetzt nach NY gereist, um Till (?) zu besuchen; sie sei sehr aktiv und lebendig. Hans Rothe lebe in Florenz; er habe jetzt, mit ca 70 Jahren, seine Frau geschieden, angeblich, weil ein geistig Arbeitender nicht gebunden sein dürfe.) – Nach dem Abendessen sitzen wir im Seitenraum. (Roh oder Flitner fragen nach meinen nicht-wissenschaftlichen Beschäftigungen. Ich sage: Von Prag habe ich das Cello an Hanneli geschickt. Dann hatten wir in Amerika viele klassische Platten. Über Romane: Ich habe einige gern gelesen, die Ina mir empfahl, z.B. von Kazantzakis „Zorba“ und „Griechische Passion“. Sie sprechen von griechischen Inseln, Rhodos und Kreta. Auf Rhodos hat Flitner ihnen die Odyssee vorgelesen. Darauf zitiere ich „A\(\nu{}\displaymath{\delta{}}\rho{}\)\(\alpha{}\)\(\mu{}\displaymath{o}\iota{}\)…“. – Über Psychoanalyse. Sie fragen nach meinem Fantasieleben. Ich: Das hat eine starke Umwandlung erfahren durch die Analyse. Träume und besonders Wachträume sind viel intensiver. Ich 🕮 erzähle von Astrid; die ganzen Dialoge erscheinen Wort für Wort; ich bestimme nur das Thema, das Übrige läuft ab. Lisi sagt: Vielleicht war früher die visuelle Fantasie gehemmt, und die Hemmungen sind durch die Analyse verschwunden; ich sage: sicherlich ja. Flitner sagt, in den Irlandsagen dürfen die Männer nie Gefühle zeigen, etwa weinen oder so. Ich: Das war auch unsre Erziehung etwa; aber seit der Analyse muss ich oft weinen, zuweilen auch aus Ergriffenheit oder Freude, wie bei schöner Musik. Flitner und Roh stimmen zu, dass das viel besser ist, und erinnern an das 18. Jahrhundert.)