68Tagebuch 1. I. 1964 – 31. XII. 1964 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 3. IX. 1964

9-12 bei Feigls Arbeitsgemeinschaft, über Wissenschaftsgrundlagen. Dabei Feyerabend. (Feigl fordert mich auf, gleich Stellung zu nehmen zur Kontroverse über Instrumentalismus und Wahrheitsanspruch von Theorien. Ich: Die Wissenschaftler sind doch im Grunde einig; das ist eine künstliche Kontroverse, die die Philosophen hineinbringen. Aber Feyerabend sagt, dass Bohr den Instrumentalismus vertritt: der Formalismus der Quantentheorie ist nur eine Rechenmaschine. 🕮 Ich habe den Eindruck, dass Feyerabend und einige andere die Kontroverse aufbauschen, während mehrere andere mir zustimmen. Nach der Pause (weil ich für die Tropfen auf mein Zimmer gehe) beginnt Feyerabend ein neues Thema: die Kopenhagen Interpretation; er erklärt gut das 2 Schlitzen Experiment und ein anderes.) Nachmittags lese ich Blochsms ( marxistisch-dialektisch, aber noch viel unverständlicher als bei anderen Marxisten, gegen Positivismus) und beschließe daraufhin, trotz Rohs Rat, seinen Vortrag nicht zu hören. (Der Vortrag dauert 1 ½ Stunde; alle sagten, auch Annemarie, er sei total unverständlich gewesen; und sehr aggressiv über den Positivismus.) Ich gehe zu Feigls Vortrag, setze mich ganz vorne neben eine Dame; die stellt sich vor als Frau Bloch! (Feigl trägt klar vor, aber spricht nicht so lebhaft wie sonst, oft zögernd und stockend. Kasperle sagt mir nachher, dass er in einer milden Depression ist, schon in Wien; teils wegen Neuritis in Füßen, teils weil er sich den jungen Leuten gegenüber nicht gewachsen fühlte, in Sachen wie Spieltheorie und dergleichen. Er erklärt die Stellung unseres Empirismus im Unterschied zu früherem Positivismus; über Sinnkriterien, Physikalismus, und dergleichen.) Plötzlich um 6:50 läutet der buzzer in meiner Tasche; die Leute schauen sich um, ich stelle mich dieser , Feigl unterbricht sich und schaut auf die Uhr, vielleicht dachte er, es ist ein Signal zum Aufhören. Einige Minuten später schließt er. Ich eile hinaus, noch vor den Schlußworten des Vorsitzenden, zu meinem Zimmer, für die Tropfen. – Nachher sitzen Annemarie und ich noch mit Feigl zusammen, und Annemarie spendiert ihnen und sich Cognacs, weil Feigl erledigt ist und eine Aufmunterung braucht; dann bringen wir sie zu ihrem Hotel, im Dunkeln, und gehen zurück. Annemarie mag Feigls gern; auch Roh, aber nicht Juliane; 🕮 sie sagt, die kuckt einem nicht auf die Augen; ich sage, das ist irgendeine Scheu oder Hemmung. – Abends mit Rohs und Dr. Hochkeppel. ()Er will mich interviewen für Radio. Da morgen sein letzter Tag ist, und ich da sehr beschäftigt bin, machen wir aus, dass er mich in Stockdorf anrufen wird. – Er war in Mexiko beim Kongress, aber nicht bei meiner Diskussion. Ich erzähle von den mexikanischen Philosophen.) Gegen 10h zu meinem Zimmer!