MartinZu Flitners in den Jenischpark (Martin fährt mich in ihrem VW hin und holt mich später wieder ab. Wir gehen durch den schönen, sehr großen Park die ganze Länge hinab und wieder zurück, und sitzen zuweilen auf Bänken, 11-1. Sie meinen, Hans Arnold habe immer seinen politischen Standpunkt nach seiner Umgebung genommen: zuerst starke Neigung zum Nazismus, wenn auch nicht zum Antisemitismus, so doch für Eroberung von Lebensraum; dann in Gefangenschaft für und nachher für russischen Kommunismus; später dann, als Geschäftsmann wieder deren übliche Auffassung; ich sage: das letztere doch wohl nicht, denn er kritisiere die deutsche und amerikanische Regierung; sie: weil das jetzt üblich; ich: er ist aber für Pazifismus, gegen deutsche Aufrüstung usw.; sie: er hat keine 🕮 beständige Grundauffassung. – Ich: Zweimal habe ich erlebt, dass mein Land das reaktionärste Land wurde, und auch die größte Gefahr für den Weltfrieden. Meine Kritik der amerikanischen Kolonialpolitik in Lateinamerika; über Kuba: Castro wollte Hilfe von Amerika; nur als die abgelehnt wurde, wendete er sich an Russland; die jetzige Handelsblockade ist Brechung eines internationalen Vertrages; die Verweigerung von Nahrungsmitteln nach der Unwetterkatastrophe war unmenschlich. Wilhelm ist sehr interessiert. Er sagt, ein Nationalökonom hat ihm in Alpbach erklärt, wie die amerikanische Wirtschaftspolitik darauf aus ist, Europa in Abhängigkeit von Amerika zu halten.) – Nachmittags mit Hanne. (Noch über Psychoanalyse. Wie die Wahrnehmungen und Gefühle intensiver wurden: die farbigen Blumen; der „Tanz“ beim Mozart Minuet; der Blick aus dem Fenster, und später durch die Türe: die Tür, der Weg in den Wald usw. Inas Freude und Miterleben.) – Ich telefoniere mit Martha Hörmann (dass wir uns Freitag bei Küstermanns treffen wollen, und Lisi sie einlädt zum Übernachten.) – Ich telefoniere mit Friedrich und Marianne von Rohden (sie sind in Braunlage im Harz, kommen Samstag nach Lübeck zurück; ich sage, ich will sie Sonntag besuchen, ich werde Samstagabend anrufen.) – Abends ist Onkel Klaus, ein jüngerer Bruder von Hans Arnold, mit Tochter da. Ich ziehe mich vorher zurück auf mein Zimmer. Martin kommt und zeigt mir seine Aufsätze mit Illustration (über Riedheim, den Bauernkrieg des „Leipheimer Haufens“ im 16. Jahrhundert usw.) – Später kommt Hanne zu meinem Zimmer und sitzt auf der Sessellehne. (Ich bitte sie um Verzeihung, dass ich ihr in der schweren Zeit der Einsamkeit nie geschrieben habe. Ich kann sprechen, aber nicht Briefe schreiben. Sie versteht es aber gut; sie habe oft an mich gedacht, und innerlich nie den Kontakt verloren. Auch jetzt, vor meinem Kommen, wusste sie, dass wir uns gut verstehen würden. – Sie fragt, ob Ina alle Dinge in meiner Vergangenheit verstand und ob sie wohl Gefühle dagegen hatte. Ich: Sie enthüllte mir gleich zu Beginn ihre ganze Vergangenheit; und später ich ihr meine. Sie verstand alles, wollte alles genauer wissen. Sie hatte keine Gegengefühle; im 🕮 Gegenteil, sie war es, die mich oft daran erinnerte, dass ich Briefe schreiben solle an die Kinder oder Maue und andere. Sie erinnert mich, dass sie mir schrieb: „Gewähre es ihr, dass sie Dich verlassen musste“. Ich: Ich erinnere mich, dass ich noch am 3. Tag dem Analytiker sagte, dass ich es ihr noch nicht verzeihen konnte, dass doch noch ein Vorwurf in meinem Herzen war; erst nach Wochen kam ich darüber hinweg. Hanne erzählt, dass sie in den einsamen Jahren einen sehr eindrucksvollen Traum hatte: sie reitet über einen Bergesgrat mit steilen Abhängen (wie zuweilen in Guatemala); auf einmal stürz rutscht sie ab, kann sich aber noch halten, vor dem Abgrund. Sie meint: So ist im Leben ein Höhepunkt oft ganz nahe dem Abgrund; Hölderlin in der Zeit der höchsten Reife fiel in Wahnsinn; vielleicht musste Ina, weil sie sich auf der Höhe des Lebens fühlte, sich in den Abgrund stürzen. Sie sagt, durch meine Erzählung, dass Ina kein Geschriebenes hinterlassen habe, und dass sie anscheinend in großer Eile handelte, habe ihr klar gemacht, dass in ihr wirklich eine ernste Krankheit war; sonst wäre es ihr unmöglich gewesen, mich zu verlassen. Ich sage: Ich hadere nicht mehr mit Ina, aber doch noch mit dem Schicksal; ich sehe um mich so viele Ehepaare ohne die starke Zusammengehörigkeit wie bei uns; warum musste denn dann gerade unser Zusammenleben zerstört werden? Und warum so grausam? Wenn ich sie schon verlieren musste, warum nicht durch ein ruhiges Ende, wo ich in der letzten Stunde noch hätte ihre Hand halten können, und ihr sagen, wie ich sie lieb habe und wie viel sie mir gewesen ist? Sie: Das Leben ist nun so; man kann nicht immer einen Sinn darin finden; man muss das Vergangene hinter sich lassen. – Dann sagt sie noch: „Ich habe Dich sehr lieb“; ich küsse sie und danke ihr.)