10-6 Jo hier. (Ich spreche meist mit ihm allein, im Wohnzimmer. Er erzählt, wie er zum „Glauben“ gekommen ist; nicht erst in der Gefangenschaft, wie ich meinte, sondern schon in der Flotte; die behielt sich größere Freiheiten, im Unterschied zu Görings Luftwaffe; daher gab es dort einen kleinen „Bibelkreis“ (10 oder 12 Männer, mit einem Flottenpfarrer in Uniform, wo rege Diskussion und Bibellesen stattfand.) Ich sage: Für mich ist es leichter, Deine Auffassung zu verstehen, als für Dich, meine zu verstehen, weil ich ja in der Kindheit und Jugend auch religiös war. Aber er sagt darauf: Er kann auch meine gut verstehen, weil er auch in Kindheit und Jugend „ohne Gott lebte“; denn in Wiesneck und in den Lietzschulen wurde nicht Religion gepflegt, sondern in diesen Schulen z.B. von Lietz selbst, nur etwas über die Religion gelehrt. Das war mir ein neuer Gedanke; aber da hat er wohl recht. Er sagt, 🕮 es war richtig von uns Eltern, dass wir die Kinder nicht in eine bestimmte Religion festlegten, sondern es ihnen frei ließen, sich zu wählen, was sie wollten. Und er ist stolz darauf, dass er seine Religion nicht einfach automatisch als Kind mitbekommen hat, sondern erst als Erwachsener mit Bewusstsein aufgegriffen hat. Er hat auch etwas über andere Religionen nachgedacht; ein Professor für vergleichende Religionen hat ihnen Vorträge gehalten über die Schwäche der anderen Religionen; ich sage ihm, dass die Anhänger der anderen Religionen sicherlich ähnliche Argumente zugunsten von ihrer haben. Er gibt auch zu, dass es verkehrt wäre, wenn ein Mensch behaupten würde, er habe nun mit Sicherheit die Wahrheit erfasst; er tadelt die Katholiken für diese Auffassung. Als Hauptargument für Gott führt er wiederholt an, dass man ohne ihn nicht verstehen könne, wie und warum gerade in dieser Form sich der Mensch und die anderen Lebewesen entwickelt haben; er fügt selbst hinzu, dass man aber nicht aus der Existenz des Menschen die Existenz Gottes gewinnen könne. Ich zitiere Laplace: „Diese Hypothese benötige ich nicht“. Er sagt, sie ist zwar nicht beweisbar; aber auf ihrer Grundlage, nicht als Hypothese, sondern als erlebte Wirklichkeit, fällt alles besser in seinen Platz und wird als Ganzes verständlich. – Nachmittags über Ina. Ich erzähle von den Depressionen; Bruder, Mutter, Vernachlässigung durch die Eltern, Vertreibung aus unserem „Nest“. Angst davor, eine Last für mich zu werden; besonders Angst vor Hospital. Der Psychiater mit Medizin; da, glaubte ich, jetzt hatten wir einige Monate Ruhepause. Ihr häufiges Sprechen von Selbstmord; ich billigte es unter anderen Umständen, aber nicht hier. Ihr Leiden, innerer Konflikt zwischen Sorge für mich und Sehnsucht nach Befreiung; das Singen; , Schlaflosigkeit; plötzliches Ende. Daher mein Schock, 🕮 trotz aller Vorkenntnis. Dann Lesen von Großvaters Biographie. Da ich den Groß mich mit dem Großvater verstehen konnte, dachte ich, ich werde mich auch mit dem Sohn verstehen. Und jetzt freue ich mich sehr, dass es wahr ist. Er fragt noch nach dem Gefühl des Staunens im Anblick des Weltalls; ich sage, das habe ich auch; Einstein nannte es „das kosmische Gefühl“; und auch die Bescheidenheit und Demut darüber, wie wenig wir wissen. – Ich sage ihm, wie ich mich freute, in seinem Tagebuch den Grundsatz zu finden: „Was man tut, das soll man ganz tun“. Das ist mir auch ein wichtiges Prinzip.) –(Ferienzuschuss für Johannes. Ich erkläre, dass ich finanziell jetzt gut dran bin, und dass ich jedem Geschwister für die Ferienreise jährlich helfen will. Ich möchte ihm 200 geben; er sagt, das ist viel zu viel; ich sage, da sie droben so einfach leben, sollen sie den Nutzen der Ersparung haben. Er sagt: dann 100; ich sage: wir wollen uns auf die Mitte einigen, bitte nimm es, es freut mich, es zu geben. Also 150 gegeben.)Ich finde wiederum schwarzen Stuhl (so schon vor einigen Tagen; damals sagte Annemarie, das kommt von den Blaubeeren. Aber jetzt habe ich mehrere Tage keine gegessen; allerdings gestern auch keinen Stuhlgang. Sie telefoniert ihrer Ärztin, Dr. Friedrich; sie sagt, wir sollen gleich hinkommen. Um 7h dort. Ich bringe Stuhlprobe, die Praktikantin nimmt Blutprobe aus dem Ohrläppchen. Nach Untersuchung, und Betastung meines Magens, wobei aber nichts weh tut, sagt die Ärztin, es ist keine Blutung, sondern immer noch Blaubeeren, man sieht kleine Beerenkörner im Stuhl und der Stuhl ist hart, aber weich.Sinn? Ich bin froh; ich glaubte nicht, dass es wirklich Blut sei; aber wollte doch die Beruhigung der Gewissheit haben.) 🕮