68Tagebuch 1. I. 1964 – 31. XII. 1964 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag So 23. VIII. 1964

Zu Agnes. – Annemarie fährt Agnes und mich die Wintererstr. nach W, bis zu Bänken, von wo man das Eichhaldenhaus oben liegen sieht. (Dort sitze ich mit Agnes, dann gehen wir zu Fuß zurück. Sie sagt, sie hätte gerne Näheres über Ina gewusst, aber wollte nicht fragen, weil ich vielleicht nicht darüber sprechen möchte. Ich erzähle dann einiges, aber nicht über den Tod. Dass Ina lange schon von Selbstmord sprach. Furcht vor Hospitalisierung. Der Psychiater. Nachts das gemeinsame Singen. Meine Billigung von Selbstmord, wenn unheilbar; aber mein starkes Sprechen dagegen in ihrer damaligen Lage, wo die Medizin ausprobiert werden sollte. Daher erwartete ich es dann nicht. Warum es dann doch plötzlich geschah, unklar; anscheinend fürchtete sie Hospitalisierung. Über Friedrichs Brief, wie quälend solche Zustände sind; wir müssen ihr nicht Vorwürfe machen, sondern 🕮 froh sein für sie, dass sie es überstanden hat. Agnes sagt, sie habe sich manchmal Sorgen gemacht, wenn es mir schlecht ging, ob Ina wohl bei mir ausharren würde oder zu einem anderen Mann gehe. Ich sage mit Entschiedenheit, dass das ganz undenkbar war; im Gegenteil, damals in S.F. und später in Princeton, hat sie überlegt, wie sie den Lebensunterhalt für uns beide verdienen würde; und dass sie immer treu und selbstlos ganz für mich gesorgt hat. In der Wohnung singt Agnes mir noch leise das Lied vom Knochenmann, und ich notiere mir die Worte. Ich sage ihr, dass Ina dies gerne sang mit mir in den letzten Wochen; dass ich sie manchmal aber warnte, sich dem Gedanken nicht zu sehr hinzugeben. Ich sage ihr auch von dem schönen Schubertquartett zu dem Gesang. Ich erzähle, dass ich oft nachts nach Inas Tod mir viele von unseren Liedern leise gesungen habe und viel dabei geweint; das tat mir gut. Sie sagt: Ja, das löst einen. Sie sagt, dass sie in manchen Liedern Trost und Stärkung gefunden hat. Ich sage, ich auch in „So nimm denn meine Hände“. Sie will mir vielleicht eine Kopie von den dreistimmigen Liedern machen lassen und schicken. Ich sage, ich wollte jetzt nicht, weil ich dann leicht weinen muss. Aber vielleicht können wir sie nächstes Jahr singen. – Zum Abschied beim Auto danke ich ihr; und küsse sie herzlich. Ich sage, es ist kein großer Abschied, ich denke, ich komme nächsten Sommer wieder. Sie weint nicht, sondern hält sich sehr tapfer, sicher um es mir leichter zu machen.) –

6 Kön bei uns (Walter Köngeter24Aufgrund der Angaben im Tagebuch vermutlich Walter Köngeter (1906-1969); vgl. Walter Köngeter – Wikipedia. Großer, dicker Körper, großer Kopf, großes rotes Gesicht, lacht gern. Über Griechenland und Wilhelm Dörpfeld. Seine starke Abneigung gegen Amerika. Ich: Es gibt aber auch Amerikaner, die da kritisch sind. Ich erkläre, dass ich froh bin, nach Amerika gekommen zu sein; denn in Deutschland würde 🕮\St. Peter, Johannes und Familie\ ich mit meiner Art von Philosophie überhaupt keinen Anklang gefunden haben. Aber ich stimme in vielem seiner Kritik an Amerika zu.) Ich bis 9h.