68Tagebuch 1. I. 1964 – 31. XII. 1964 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Fr 16. X. 1964

Vormittags mit Chacha im Wald spazieren. Dabei Gespräche und beim Mittagessen und Nachmittagskaffee, immer mit ihr allein. (Ich erzähle, dass ich Maue nach ihrem Katholizismus fragte; dass sie es nicht als Rückkehr zu einem alten, sondern Eintritt zu etwas Neuem empfindet; dass sie und Gittli in die Kirche gingen und auch bei Tisch leise beteten. Sie fragt, ob die Kinder es denn immer noch nicht wissen. Ich vermeide eine direkte Antwort und sage nur: Maue fürchtet ihre Vorwürfe, da sie ja katholisch erzogen sind; weniger von Gittli, die selbst Liebe stark erlebt hat; aber mehr schon Gerhard, der „dünnblütig“ sei. Ich frage, ob sie auch diesen Eindruck von Gerhard habe; sie sagt, ja, er habe nicht viele „Vitalkräfte“; ich frage: Bedeutet das „Sinnlichkeit“? Sie: Nein, es ist etwas Anderes; anscheinend meint sie so etwas wie starke Impulse, Fähigkeit sich zu entschließen und sich durchzusetzen. Sie sagt: Broder habe von Nutto gesagt, er sein ein „Schlappschwanz“, weil er keine Arbeit zu Ende bringen konnte, sondern nur damit spielte; sie meint vielleicht, das könne ein negatives Vorbild für Gerhard gewesen sein. Chacha sagt, sie könne es sich gar nicht vorstellen, dass sie ihren Kindern so etwas Wesentliches geheim halten würde. Ich: Ich auch nicht; und ich habe jetzt in Maue einen Keim des Zweifels gesät, vielleicht wird etwas daraus.) 6h Hanneliese kommt (per Eisenbahn aus München. Sie bringt mir drei verschiedene Ledertäschchen für Geld oder Noten, mit überwiegend geschmackvollen Ansichten von München in Gold und Farbe darauf gedruckt, als Mitbringsel für meine Freunde drüben! Wenn es keine weiteren Folgen haben würde, hätte 🕮 ich sie angenommen; aber mir scheint, ich muss unbedingt mit der strengeren Erziehung für drüben anfangen, sonst macht sie weiteren Unfug hier (etwa Mitbringsel für drüben) oder dann drüben.) – 7h Arne&Dizko Gangart kommt zum Essen (Christiane ist dabei, aber Lini und Christoph nicht ; und Hanneli. Er ist groß ( nicht?) blond, breites Gesicht; sie schwarz, mit Brille, auch breites Gesicht. Wir haben sie damals in Mexiko gerade versäumt; Annemarie hat von ihnen so viel erzählt, auch Chacha [der Anne jetzt monatlich 50 zahlt!]; da bin ich froh, sie zu sehen. Auch über die Hochgebirgstour, bei der Annette und Sven mit waren; sie sagen, ichdOriginal es. muss nächstes Mal auch zu ihnen kommen. – 8h kommen der Maler Hans Olde und Frau38Hans Olde (1895-1987), lt. NDB (Artikel über den Vater) Maler in Gauting, Oberbayern. und deren Freund, Dr. von Scheltema39Vermutlich handelt es sich um Frederik Adama van Scheltema (1884-1968), der sich in der NS-Zeit einen Namen gemacht hatte mit Studien zu nordischer Kunst.. (Olde ist Sohn des Mannes‚40Hans Olde (1855-1917); vgl. NDB-Artikel der Leiter der Weimarer Kunstschule war vor dem ersten Krieg. Sein älterer Bruder war bei der Braschoß-Gruppe, die beim Goethe-Fest war und zuweilen zum Serakreis kam; er selbst war jünger, aber auch zuweilen dabei; seine Frau war Österreicherin, aus Kroatien; Olde selbst war in der Marburger A.V., sehr befreundet mit Heinz von Rohden, der damals Vorsitzender war. Oldes machen jetzt immer noch weite Reisen, auch in Türkei und Griechenland, oft mit Zelt. Er kannte gut Brügmann und Kremers; sie sind noch befreundet mit Dita Smith. Scheltema ist aus Holland, jetzt seit langem in Deutschland; anscheinend Privatgelehrter, betreibt Kunstgeschichte der prähistorischen Zeit, besonders in Skandinavien.) Bis 10 ½!