68Tagebuch 1. I. 1964 – 31. XII. 1964 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 1. X. 1964

10 zur Gymnastikhalle (ich sehe aber, dass überhaupt keine Sitzgelegenheiten vorhanden sind; dort eine ganze Stunde herumstehen und dazwischen noch einige der Übungen zu machen wird offenbar viel zu anstrengend für mich. Als der Dr. Mengershausen kommt, sage ich es ihm und gehe zu meinem Zimmer.) – 11 ½ – 12 bei Frau Brockmann (etwas Gymnastik und Atemübungen, für die Wirbelsäule. Sie erinnert mich an Hanneli, sowohl im Gesicht, wie auch in der Sprechweise über die Übungen und ihre Wirkungen. Sie betont die Wichtigkeit der Nasenatmung; es sei schlecht, dass ich mir die Mundatmung so angewöhnt habe.) – Nachmittags langen Spaziergang mit Chacha (von der Alten Tann hinauf in den Wald; dann lange horizontaler schöner kleiner Pfad hinunter zur „Melkstatt“, wo die Hirsche und Rehe im Winter gefüttert werden. – Ich erzähle Chacha von Inas letzten Tagen; sie wusste schon von Heini, dass sie sich in der Garage erhängt hatte. Sie fragt nach der Depression und ihren Ursachen. Nachher zeige ich ihr Friedrichs Brief, der schildert, wie furchtbar quälend diese Zustände sind. Dann sagt sie: Dann wäre es doch vielleicht nicht richtig gewesen, sie zum Leben zurückzurufen, wie ich es versucht hatte. Ich sage: Nicht, wenn die Krankheit unheilbar war; aber vielleicht hätte die Medizin doch geholfen. Sie liest mir dann aus Friedrichs Brief die Stelle vor: „Nun hat sie alles überwunden. Stören wir ihren Frieden nicht!“ 🕮 Abends in meinem Zimmer sprechen wir noch darüber. Ich sage, anfangs grübelte ich immer darüber, ob das Tragische hätte vermieden werden können, wenn wir noch dies oder das getan hätten. Aber das hat keinen Zweck. Ich muss lernen, das Unabänderliche hinzunehmen, und mich der Gegenwart und Zukunft zuzuwenden. Und in der Erinnerung an Ina will ich versuchen, weniger an die letzten Wochen zu denken, und mehr an die frühere gute Zeit, besonders im Chenault Haus, und auch in Princeton. Chacha sagt, ihr ging es ähnlich; zuerst musste sie, wie durch Zwang, immer an die letzte Zeit von Broder denken; sie ist darüber hinweggekommen, und ich würde es auch.)