67Tagebuch 31. XII. 1962 – 31. XII. 1963 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Do 25. IV. 1963

Vormittags zur Prüfung für Verlängerung der driver’s license. (Erst wollte ich allein fahren, aber Ina will doch mitkommen. Die schriftlichen Antworten auf Fragen mache ich fast alle richtig; nur 1 Fehler (6 sind erlaubt). Dann Augentest; nur die Quadrate (nicht Lesen der entfernten Buchstaben, die ich auch kaum entziffern kann). Dann sagt er, ich müsse auch die Fahrprüfung machen. Ich war nicht darauf vorbereitet, weil es voriges Mal (ich glaube 1959) nicht gefordert wurde. Ich bin beim Fahren nicht so tense und nervös, wie in früheren Jahren. Aber ich mache einen sehr schweren Fehler. Ich fahre auf Washington Avenue, soll nach links fahren, bei einem Lichtsignal. Ich bin richtig in der Extrabahn für Linksturn. Als das Licht grün wird, fahre ich langsam geradeaus und warte, bis die ersten Wagen aus der Gegenrichtung vorbei sind. Dann fange ich langsam an, nach links zu drehen. Auf einmal schreit der examiner: „Heh, stop! Was tun Sie!“ Ich stoppe, und schon kommt ein Auto in der Gegenrichtung ganz eng an mir vorbei. Wenn er nicht geschrien hätte, wäre ich in diese Bahn gefahren und wahrscheinlich ein Zusammenstoß erfolgt. ErbOriginal Ich. fragt, ob ich denn den anderen Wagen nicht gesehen habe. Ich: Nein; anscheinend schaute ich in die Seitenstraße, in die ich fahren wollte. Später am Ende erklärte ich ihm, dass ich glaucoma im rechten Auge habe, wodurch das Gesichtsfeld beschränkt ist, 🕮 und dass ich wahrscheinlich in die Seitenstraße geschaut habe, um zu sehen, wo meine Fahrbahn dort ist. Wir fahren weiter. Zunächst war ich sehr erschrocken; aber dann fuhr ich ruhiger. Er ließ mich noch mehrere Linksturns machen, und die machte ich richtig. Ich glaubte, dass ich auch sonst die meisten Dinge richtig machte; zum Schluss ließ er mich in der Gasse neben dem Amt parken; dort saß Ina auf einer Bank am Haus. Dann sagte er, freundlich und ruhig, aber ernst: er müsse mir leider sagen, dass er dringend mir rät, das Fahren ganz aufzugeben! Er zeigt mir nach seinen Notizen eine ganze Anzahl von anderen Fehlern, die ich gemacht habe, meist ohne es zu bemerken. Es sind 27 Fehlerpunkte (den großen Fehler nicht mitgerechnet); Gewöhnlich würde die Prüfung dreimal so lange dauern wie diese, und die erlaubte Höchstzahl sei 20 Fehlerpunkte; sodass also bei voller Prüfungszeit, auch abgesehen von dem Hauptfehler, ich die Prüfung im hohen Maße gefailt haben würde. Z.B. beim ParkencOriginal Backen. in einem engen Raum an der curb, oder vielmehr nachher beim Herausfahren, musste ich weiter zurück und habe dabei die hinteren poles hart angefahren; bei einem Rückwärtsfahren mitten auf der Straße habe ich meist nach vorwärts anstatt rückwärts geschaut und nur ab und zu in den Rückspiegel, während man immerzu nach rückwärts schauen soll; ebenso beim Fahren in die nächste Fahrbahn rechts, habe ich nur in Rückspiegel geschaut, anstatt den Kopf zu drehen. Er sagt, es sei am besten, für Sicherheit, 🕮 wenn ich das Fahren ganz aufgäbe, meine Fahrgewohnheiten seien „sehr arm“. Aber erdOriginal es. wolle es nicht ausschließen, dass ich, wenn ich es notwendig fände, die Prüfung wiederholen könnte. In diesem Falle würde er aber dringend raten, dass ich einige Lektionen von einem professionellen Fahrlehrer nehme. Ich erkläre ihm das glaucoma im rechten Auge. Er sagt schließlich, dies sei nur ein Rat; die Entscheidung müsste ich selbst treffen. Ich sage, dass ich es sehr überlegen will. – Dann berichte ich es alles ausführlich der Ina. Sie meint auch, dass es dann wohl das Beste wäre, es aufzugeben. Sie sei gern bereit, mich immer zu fahren; und die Sicherheit für mich sei doch am wichtigsten. Ich finde es zunächst enttäuschend, dass ich wieder in die alte Abhängigkeit geraten soll, und es fällt mir schwer, die Idee des Fahrens ganz aufzugeben, das ich oft sehr gern getan habe. Aber ich überlege dann, dass ich selbst letzthin bemerkt habe, dass ich Dinge nicht sehe oder zu spät bemerke, z.B. kürzlich, als ich von Bringham in die San Vicente fuhr, wo ich zunächst die W-Bahn kreuzen musste, sah ich ein ankommendes Auto nicht, das dann plötzlich bremsen musste und mit lautem Hupen seinen Zorn zeigte. Und manchmal war es mir schwierig, die Farbe eines Verkehrslichtes zu erkennen. So muss ich mir wohl sagen, dass es wirklich vernünftiger ist, wenn ich das Fahren aufgebe.) 🕮 Nachmittags Myra hier. (Ihre 16-jährige Tochter hat soeben die Prüfung bestanden und eine license bekommen. Myra sagt, sie wird ihr sagen, dass ich meine license an sie abgebe. – Myra kommt aus der Italienischstunde. Sie sieht die italienische Übersetzung der „Syntax“ da liegen und liest das Vorwort vor, und übersetzt es. – Sie haben noch keinen Mieter für ihr Haus gefunden; für $ 475. Vielleicht wollen vier junge Geschäftsleute es zusammen nehmen. – Wir erzählen von der Möglichkeit, nach Wien zu gehen im Mai oder Juni 1964; sie sagt, dann müssen wir sie in Aspri besuchen.)